Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Wöchentlich mußten wir unserer ame-. rikanischen Dienststelle einen Arbeits plan für die kommende Woche vorlegen, ebenso eine Statistik über die in der Vor woche geleistete Arbeit. Anzugeben war, welche Cages(Gage = Käfig)wir besucht hätten und wie groß die Teilnehmerzahl an unseren Veranstaltungen usw.war.Das Lager selbst war in einzelne, umzäunte Abteilungen eingeteilt, die von den Ame rikanern Cages genannt wurden. Auf Grund unserer Angaben wurden uns Hostien und Wein zugeteilt.Letzterer reichte wohl für unsere katholische Meß feier, nicht aber für die evangelische Abendmahlfeier. Zu unserer Verwunde-- rung lösten die Pastoren dadurch dieses Problem, daß sie ihren Gläubigen beim Abendmahl statt Wein Tee oder Kaffee reichten.Sie erklärten uns: Christus habe beim letzten Abendmahl nichtso sehr an Wein gedacht, sondern an das jeweils „landesübliche Getränk". Sein Gedächt nismahl sollte ja nicht nur dort gefeiert werden, wo der Wein wächst, sondern überall dort,wo Menschen sich nach einer Vereinigung mit Christus sehnen. Konn ten wir aber diese Auffassung nicht ganz mit ihnen teilen,so gab es in anderen reli giösen Fragen viel Berührungspunkte. Pastor Brügge, ein inniger Marienvereh rer, wäre bereit gewesen zu konvertieren, um als katholischer Priester wirken zu können. Da er aber verheiratet war, so zweifelte er daran, ob sein Verlangen je mals in Erfüllung gehen würde.In bezug auf Dogmatik war für die Pastoren der Schweizer Theologe Karl Barth die allge mein anerkannte Autorität. Da für unseren Dienst in den einzelnen Cages nur eine knapp bemessene Zeit vorgesehen war, so mußte dieser wohl durchdacht werden, um allen seelsorgli chen Erfordernissen entsprechen zu kön nen. Da das Beichthören viel Zeit in An spruch nahm,so fertigten wir einen klei nen Beichtspiegel mit den entsprechen den Gebeten an. Diesen ließen wir durch die wartenden Landser weiterreichen. Hatten drei oder vier bereits von ihm Ge brauch gemacht,so begannen wir Priester mit dem Beichthören. Auf diese Weise brauchten wir keinen Beichtwilligen we gen Zeitmangels abzuweisen. Was die Statistik anbelangt, so hatten die amerikanischen Dienststellen an der Quantität mehr Freude als an der Qualität. Sollte ein Krankenbesuch in einem Hospital-Cage von Nutzen sein, so war eswenigstens nach meiner Auffassung - notwendig,sich dem Krankenzu widmen. Das beanspruchte Zeit, und die Zahl der erledigten Fälle konnte nicht gerade im ponierend sein. Darum kam eines Tages der amerikanische Pfarrer und zeigte mir, wie man es machen müsse,um hohe Zah len zu erreichen. Er ging mit mir in ein Krankenzelt, ließ sich vom Pfleger die Zahl der Kranken melden, notierte sie, warfeinen Blick in die Tiefe des Raumes und stellte die Frage,objemand von ihm etwas haben wolle. Keiner antwortete. Darauf verließ er das Zelt und ging in das .nächste. Hier wiederholte sich der Vor gang von vorher. Nach einer Viertel stundezählte er die Belagzahlen der Zelte zusammen und zeigte mir stolz und selbstzufrieden seine Ausbeute mit dem Bemerken: „So müssen Sie es machen, dann kommen Sie auf anständige Zah len." Wir betreuten nicht nur Gefangene, einmal wurden wir auch selbst betreut. Am 26. April 1945kamen als Vertreter der Y.M.C.A.(young men's Christian assotiation) die Pastoren Schmidt aus der Schweiz und Söderborg aus Schweden. Der Schweizer hielt uns eine erbauliche Ansprache mit dem Refrain: „Sie müssen Ihr Herz zu Jesu erheben." Da im Lager aber immer noch Hungersnot herrschte, machten wir sie darauf aufmerksam, bei ihrem Lagerrundgang nicht nur bei den • wohlgenährten Küchenbullen zu verwei len,sondern auch die Hungernden in den Zelten zu besuchen.Sie erwiderten,diese Dinge seien ihnen bekannt, aber wenn durch sie etwas in die Öffentlichkeit drin ge,dann seien sie wohlzum letzten Malin einem .amerikanischen Gefangenenlager gewesen. Das sahen wir ein und waren dankbar, als sie uns als Geschenk den „Taschenkalender 1945, dargeboten von der ökumenischen Kommission für die Pastorisation der Kriegsgefangenen und von den lutherischen Kirchen Amerikas" überreichten. Da Einzelaussprachen bei dienstlichen Besuchen in den Cages nur in beschränk tem Ausmaß möglich waren, mußte ge trachtet werden,die Probleme der Gefan genen in der Predigt unterzubringen.Nur schwer konnten Gefangene fertig werden mit ihren tiefen Depressionen,ihren Haß gefühlen,ihrem leiblichen und seelischen Hunger, ihrer Angst und schließlich mit ihren Schuldgefühlen. Aufgabe des Predigers war es nun, sie aus diesem Elend herauszufuhren,ihnen zusagen,daß ihr Leid nichtvergeblich sei. Sie seien nicht so gottverlassen, wie sie glauben,sie werden vielmehr von Gottge läutert und so für neue Sendungin dieser Welt vorbereitet. Auf einer Holzkiste ste hend, suchten wir durch die Predigt ein zubrechen in die Dunkelheit der Seelen, um sie der Erstarrung zu entreißen. - ..Wenn wir uns nicht entschließen, dem Geiste Gottes zu folgen,dann werden wir noch in ein grauenhafteres Elend stürzen, dasalles bisherDagewesene in den Schat ten stellt. Die Mütter, die gebären sollen, werden blutige Tränen weinen, weil sie ein neues Lebewesen einem entsetzlichen Elend ausliefern müssen. Und wir selber werden vor Grauen vergehen und das Le ben wird unszumFluch werden,wenn wir nicht glauben an den Heiligen Geist, den Geist der Liebe... Finsterer Weltgeist steht wider den Heiligen Geist-so wählt denn zwischen Liebe oder Haß."^ Das Gleichnis vom großen GastmahF mußte angesichts der vielen Hungernden zu einem Lobpreis des Essens werden: „Wir möchten bitter werden,wenn wir ei nen Seitenblick auf unsere Blechkübel werfen, an denen sich bereits leicht der Rost ansetzt, wenn wir daran denken, wie wir uns in langen Reihen um das Essen anstellen und wie hypnotisiert auf das streng abgemessene Maß der Speisen starren und mit welchem Geschick ein zelne den Topf schwingen, damit ja kein Tropfen vom Sclilag daneben geht.Esge hört zu unseren glücklichsten Erlebnis sen, wenn es einmal Nachschlag gibt. Ja fürwahr,das Essen istfür unszum drama tischen HöhepunktdesTages geworden." Es gab manche Diskussionen über die Schuldfrage des Krieges. Die evangeli schen Pastoren forderten uns katholische Priester auf, mit ihnen vor den Amerika nern ein öffentliches Schuldbekenntnis abzulegen, daß auch wir als deutsche Volksangehörige mitschuldig an den Greueln dieses Krieges gewesen wären. Wir protestierten gegen diese Zumutung auf das heftigste. Wir haben geweint, als deutsche Truppen in Österreich einmar schierten, wir haben mit ohnmächtiger Wutzusehen müssen,wie unsere Mitbrü der ins Gefängnis geschleppt oder ins Konzentrationslager kamen,und die Welt hat damals ruhig zugesehen. Erst, als es ihr selbst an den Kragen ging, wäre sie wach geworden.-„Das Maß der Schuld, dasjedem einzelnen Volk zukommt,weiß nur Gott allein ... Man hat unserem Volk vorgeworfen, daß es im Glück maßlos überheblich sei,im Unglück jedoch wür delos im Staube krieche. Als gläubige Menschen distanzieren wir uns von dieser Haltung.Mit Würde wollen wir unser Un glück tragen und unsim Staub einzig und allein vor dem beugen,vor dem es keinen Unterschied der Person und der Nation gibt, vor Gott, unserer letzten Rettung."® Das würdelose öffentliche Schauspiel ei nes Schuldbekenntnisses vorden Siegern unterblieb. Freüich litten manche unter persönli chen Schuldgefühlen.Eines Tages wurde meine Zelttür hastig aufgerissen - uhd 'wortlos warfsich ein junger Mensch mir zu'Füßen und berührte mit der Stirn den Boden.Nach einiger Zeitsagte er: „Vater, ich habe vor Gott gesündigt." Ich beru higte ihn und halfihm beiseinem Schuld bekenntnis, leitete ihn an zu einer guten Reue und richtete ihn dadurch auf, daß ich darauf hinwies, daß durch die Los sprechung ihm tatsächlich seine Sünden vergeben seien. Tief ergriffen verließ er das Zelt. Da ging von neuem die Tür auf, ein Mann trat ein und stellte sich als Psychiater aus Berlin vor. Er sagte mir, der Mann,der soeben bei mir gebeichtet habe,sei kein Katholik.Aber er habe sich als Psychiater vergeblich darum bemüht, diesen Menschen von seinen Schuldge fühlen zu befreien, bis ihm der Gedanke gekommen sei,das könne nur ein katholi scher Priester, der mit voller Uberzeu gung und in Kraft höchster Autorität die schwerwiegenden Worte aussprechen könne: „Ich spreche dich los von deinen Sünden." Niederdrückend war es,anzusehen,wie die Menschen teilnahmslos hinvegetier ten.Da war es schon notwendig,ein paar aufrüttelnde Worte an sie zu richten. - „Wollen wir wirklich zu einem Volk von Bettlern, Vagabunden und Gesinnungs lumpen werden?'"-Es wird so kommen, wenn wir uns willenlos von den Ereignis sen treiben, alles stumpfsinnig über uns ergehen, uns den Lebensmut rauben las sen und nicht mehr an Höheres glauben wollen ... Wir müßten mit Blindheit ge schlagen sein, wenn wir nicht merken würden, wie in unserer Mitte sich neues

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