Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Erinnerungen an Professor Msgr.Dr.Josef Liener(1891—1982) Franz Ser.Brenner Alswir fastein halbesJahrhundertnach unserer Matura (1929) wieder einmal in Hollabrunn waren, gab es ein freudiges Wiedersehen mit Professor Liener. Wir sind die,die er durch die ganze Oberstufe in der CJeschichte des Altertums(5. Klas se), in Griechisch (5. bis 8. Klasse) und Philosophie(7.und 8.Klasse)unterrichte te.Er kannte uns fast alle noch und wußte sogar die Hausarbeitsthemen seiner Ma turanten. Seine Augen leuchteten,als ich bei der Begrüßungsansprache sagte, wie viel gerade er uns für das Leben mitgege ben hatte. Später war ihm, der bis zum 85. Geburtstag noch an den Sonntagen zwei Messen zelebrierte und predigte,die Reise nach Hollabrunn schon zu anstren gend, aber zu unserem Jahrestreffen in Wien war er noch im Herbst 1977 gekom men. Als wir ihn am 9. März 1982 begru ben, waren viele seiner Schüler gekom men und ErzbischofDr.Jachym und Prä lat Wesely würdigten den verdienten Leh rer. Fast91 Jahre war er alt geworden.Wie sein Mitschüler und engerer Landsmann Dr. Michael Pfliegler verlebte er seine jungen Jahre in einem kleinen Dorf nahe der heutigen nördlichen Staatsgrenze Niederösterreichs. Nach wenigen Seelsorgsjahren war er vom Bischof auserse hen als Gymnasiallehrer für die angehen den Priesterstudenten. In seinen weltli chen Unterrichtsgegenständen w^ Lie ner unaufdringlich immer auch geistli cher Lehrer. Noch gegen Ende seines Le bens sagte er einem guten Freund:„Wenn ich einmal gestorben bin,dann macht mir ein Kreuz aufdie Stirn und sagtallen Leu ten, daß ich ein treuer Priester war." - Seine Dissertation auf der philosophi schen Fakultät „De Ambrosio imitatore Vergilii" (1920) steht zwischen Philoso phie und Theologie. Sein Professor war davon tief beeindruckt und hätte sie gerne gedruckt gesehen. Man riet Liener zur Habilitation auf der theologischen Fakul tät. Als er wenig Gehör fand,zog er sich zurück.Liener war eine eigenwillige Per sönlichkeit, „besessen von seiner Sen dung".Er konnte als Lehrer und Prediger sehr böse werden überjede Art von Inter esselosigkeit. Uns Schülern hat er einmal gesagt:,,Bauen Sie sich in ihrem Inneren ein kleines Königreich,in das Sie sich zu rückziehen können, wenn es nötig ist." Ich glaube, er war ein einsamer Mensch, aber dankbar jedem, der ihn verstehen wollte. Kurz vor seinem Tod sagte er zu Vizepräsident Dr.Josef Strau(Ma. 1927), der seinen ehemaligen Lehrer jahrelang liebevoll umsorgte;„Straü,gib mir Deine Hand-ich danke Dir für Deine Treue!" Schon in Hollabrunn wirkte Liener zeitweise auch unter der bäuerlichen Jugend. Er war ja auf dem Lande aufge wachsen und wußte um die Krise des Bauemvolkes. Ich erinnere mich, daß er einmal in einer Unterrichtsstunde, gewiß nicht ohne Zusammenhang, auf das ver dienstvolle Wirken des Pfarrers Leopold Teufelsbauer zu sprechen kam, der da mals um die Erneuerung der Bauernkul tur kämpfte und später Direktor des neu gegründeten „Bäuerlichen Volksbil dungsheimes Hubertendorf' wurde, viel leicht war es auch in diesem Zusammen hang, daß er das kleine Lyrikbüchlein „Antlitzgedichte", eine beachtliche Neu erscheinung des damals noch unbekann ten Heinrich Suso Waldeck,erwähnte.Ein Zyklus in diesem Buch heißt nämlich „Das böse Dorf,bringt also ein Anliegen Lieners, von dem sich mein Mitschüler Franz Hofer das Buch ausborgte und viel leicht als einziger unserer Klasse diese schwere Lyrik verstand. Mir wurde ein paar Jahre späterSusöWaldeck ein lieber Freund.Er war wohlin vielem Liener we sensverwandt. Ich denke an die Verse; „DasDunkelin allen Dingen ist Gott-Ich höre Dich schweigen im Dickicht, göttli che Taube- Mich verlangt nach Dir, Du ewiger Anbeginn." Bei unserem letzten Treffen im Jahre 1977 habe ich Liener, dem ich diese Begegnung verdanke,Wal decks längst vergriffenen Roman „Lum pen und Liebende" mit vielen autobio graphischen Stellen geschenkt Als Liener im Jahre 1937 nach Wien übersiedelte- 1935 und 1937 waren seine richtungweisenden Bücher „Zukunft der Religion" und „Der neue Christ" erschie nen-hielt er viele Vorträge und Predigten im In- und Ausland. Vieles wurde ge druckt. Er litt wohl sehr als Rufer in der Wüste. Ein Buch heißt „Wort ohne Ant wort"(1956),ein anderes„Leben und Ver antwortung".Im Jahre 1977 sagte er uns, daß noch ein Buch geplant war. Liener wirkte weitgehend im stillen. Noch am 27.September 1981 schrieb ich ihm zum 90. Geburtstag und meldete ihm unser Jahrgangstreffen mit den Worten: „Es wäre für mich eine schwere Unterlas sung,Sie trotz aller Schwierigkeiten nicht einzuladen. Wir sind glücklich, Sie noch unter uns zu haben als ein Stück unbe schwerter Jugend. Sie ahnen gar nicht, wieviel Wissen um den homo perennis, der mit Freud und Leid und allen Sehn süchten in all den Jahrtausenden der glei che ist, Sie uns aus der Sicht der Antike mitgegeben haben für das Leben. Beson ders danken Ihnen mit allen anderen die Seelsorger und Lehrer unter uns an Ihrem 90. Geburtstag." Im Herbst 1924 war Dr. Liener, dem schon lange ein großer Ruf vorausgegan gen war,an das „Oberhollabrunner Bun desgymnasium" gekommen, eine vor nehme, imponierende Persönlichkeit, meist versonnen vor sich hinlächelnd. Er wardamals33Jahre alt.Ein Jahrspäterer lebten wir seine erste Geschichtsstunde. Noch höre ich ihn sprechen: „Willst du dich selber verstehen, Sieh wie die andern es treiben. Willst du die andern verstehen, Schau in dein eigenes Herz!" Mit diesen Worten leitete er den Unter richt der Geschichte des Altertums ein. Vieles, was wir drei Jahre zuvor von dem unvergeßlichen Direktor Dr. Andreas Lutzgehörthatten,zeigte noch unsjetzter in schärferen Konturen. Liener weckte unser Interesse für Kultur- und Geistes geschichte, das Wissen um den zeitlosen Menschen,den homo perennis. Manchem von uns dämmerte allmählich der tiefe Sinn des Wortes auf: ,,Anima naturaliter christiana." Dieses Wort war uns damals schon bekannt.Es wird dem Christen Tertullian(t um 240)zugeschrieben.Das war unsere erste Begegnung mit dem Huma nismus reinster Prägung.Selbstverständ lich hat Liener in diesem einen Jahr Ge schichtsunterrichts auch vieles verankert für die Griechischlektüre der vier Klassen des Obergymnasiums. Für den (Ge schichtsunterricht besorgte er uns neben der offiziellen Herodotlektüre ein schma les Büchlein mit Kulturgeschichte der al ten Völker.Noch erinnereich mich an den Totenkult der Ägypter. Sie glaubten,im Jenseits müsse den Toten mit dem Le bensschlüssel der verschlossene Mund geöffnet werden. Jahrzehnte später ver stand ich in den Felsengrüften der Pha raonen, warum die Christen des 4. Jahr hunderts das griechische Christusmono gramm dem ägyptischen Lebensschlüssel nachbildeten. Die Angst vor Fluch und Schattendasein bei den Menschen der Ur zeit erlebten wir bei Piaton, Sophokles und Homer: Sie sind wie wir Gefangene, angeschmiedet mit dem Rücken gegen das Fenster und sehen an der Wand nur die Schatten der Wirklichkeit. Der ge blendete König ödipus wandert fluchbe laden von einer schicksalhaften Schuld als Bettler durch die Welt. Achilles wäre lieber auf Erden der letzte Knecht als Kö nig über alle Toten der Unterwelt. Sternstunden erlebten wir mit Liener bei der Lektüre Piatons.Ich kann hiernur Leitbilder aufzeigen, die für unser Leben richtunggebend waren, oft erst später. Liener aber hat das Fundament gelegt. Sokrates. der ruhelose Wahrheitssucher, sagt von sich: ,,Ich weiß, daß ich nichts weiß." Er tadelt seine Gegner,die Besser wisser.Man muß beiallerGescheitheltdie Grenzen deseigenen Wissenskennen.Das Leben ist keine Malhematikschularbeit, wo im Resultat kein Rest oder keine pe riodische Zahl bleiben darf.Stückwerk ist unser Wissen, voller Rätsel. Auf Erden sind wirnie am Ziel.Esist keine Schande, vor besseren Argumentenzu kapitulieren. Ein lapidarer Satz unseres Lehrers laute te:„Nur dem Dummen ist alles klar." Als ich ihn bei einem Kollegentreffen einmal daran erinnerte, schmunzelte er zufrie den, er wußte, daß wir von ihm gelernt hatten. Bei Höhepunkten der Lektüre machte Liener gern das Buch zu und es gab Augenblicke der Besinnung. Es gab Dialoge, wo er auch die Meinung des Schülers respektierte. Immer wieder wurden wir in seinen Stunden,gleichsam als Bekräftigung des Religionsunterrich tes, besonders durch die Lehren von So krates und Piaton,auch weltanschaulich religiös gefestigt. Der Mensch muß sei nen Seelenwagen mit den zwei unglei chen Pferden klug lenken. Nicht triebhafte Erdenlust, sondern Einsicht in die ewigen allgemeingUtigen Ideen muß un ser Handeln bestimmen.Sokrates scheut 43

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