Zur Einführung der Kirchenbeiträge 1939* Predigt,gehalten am 15. 10. 1939 in der Pfarrkirche Obritz von Augustin Neudecker als Lokalprovisor dieser Pfarre Liebe Pfarrgemeinde! Katholiken! In ernster Zeit beginnt für die katholi sche Kirche Österreichs, für die Katholi ken, ein ganz neuer Abschnitt in der Ge schichte der Kirche unserer Heimat. Mit der Trennung von Kirche und Staat haben die Gläubigen nun selbst für ihre Kirchen,für ihre Priester und für die Be dürfnisse eines schönen und Würdigen Gottesdienstes zu sorgen! Das soll durch die Kirchenbeiträge geschehen, die nun mehr von allen Gläubigen eingehoben werden sollen! Damit wird eine tiefgrei fende Änderung in der Verwaltung der Kirche vorgenommen! Die Bedeutung dieser Neueinrichtung, die für unsere Kirche etwas ganz Neues ist,darfnichtübersehen,ja,auch nicht un terschätzt werden! Darum müssen auch wir klar die Bedeu tung dieser Neueinführung und ihre Tragweite für die Zukunft sehen! Verschiedene Wirkungen dieser Neu einführung können wirjetzt schon erken nen: Als Ende 1938 bekannt wurde, daß eine sogenannte Kirchensteuer einge führt würde,da traten in Wien und auch anderswo Tausende, ja Zehntausende Menschen aus und begnügten sich mit dem Titel Gottgläubige, um keine Kirchensteuer zahlen zu müssen. Dasselbe jämmerliche Schauspiel wie derholte sich schlagartig,alsin den letzten Septembertagen in der Tagespresse die Kirchenbeitragsordnung abgedruckt wurde: wieder meldeten Tausende von Menschen ihren Austritt aus der katholi schen Kirche. Das ist also eine Wirkung der neu eingeführten Kirchenbeiträge. Wie viele im letzten Jahrim ganzen ab gefallen sind,kann ich leider nicht genau sagen, wir müssen sie mindestens auf ei nige Hunderttausende schätzen, von un serer Pfarrgemeinde ist niemand ausge treten,die Zahl der Abgefallenen,die hier in Obritz getauft wurden,aber nicht mehr hier wohnen, beträgt bisher ungefähr 25. Es ist nicht zu leugnen, daß diese Aus tritte eine Schwächung der katholischen Kirche,also einen Schaden für die Kirche in Österreich bedeuten,ziffernmäßig ge nommen Zumindestens. Wenn sich darüber Kirchengegner freu en, dann sei ihnen aber gesagt, daß dies nicht bloß ein Schaden,ein Riß in der Kir che ist, sondern daß dies auch einen Riß bedeutet in der Einheit des Volkes in Österreich; Denn bisher waren in Oster reich 96% Katholiken, also war in einer der wichtigsten Lebensfragen,in der reli giösen,Zumindestens eine äußere Einheit im Volk vorhanden! Jetzt wird das nicht mehr der Fallsein.Jetzt wird die Zersplit terung in religiösen Fragen noch größer sein: jetzt gibt es neben Katholiken,Pro testanten und Altkatholiken auch Deut sche Christen, Deutschgläubige, Nordi sche Glaubensgemeinschaft und Gott gläubige! Diese Zersplitterung in einer der wichtigsten Lebensfragen,der religiö sen, soll für unser Volk ein Vorteil sein? Noch eine andere Wirkung hat die Ein führung der Kirchenbeiträge: Im politi schen Leben wird öfter eine Mitglieder sperre bei der Aufnahme in die Partei ver hängt Man will die Mitglieder überprüfen und unverläßliche Leute,die sich hinein geschmuggelt haben, wieder ausstoßen! Die Kirche hat einen solchen Reini gungsprozeß ebenfalls von Zeit zu Zeit notwendig.Selbst kann sie nicht gut eine solche Reinigung vornehmen, da es hier um das Höchste und Heiligste im Mensehen geht,und darüber läßtsich kein Urteil fällen, ohne vielen Unrecht zu tun. Und darum nimmt die göttliche Vorse hung die Einführung der Kirchenbeiträge zum Anlaß, daß sich solche Menschen selbst aus der Kirche ausschließen! Es ist damit zugleich die Freiheit der Menschen bis ins letzte gewahrt und niemandem wird Unrecht getan! „Jetzt wird es sich ja entscheiden, wie viele es ernst mit ihrem Gottesglauben nehmen.Für uns ist es ein großes Glück, daß in so ernster Zeit die Entscheidung durch die Einhebung der Kirchensteuer fallt",soschrieb mir voreinigen Tagen ein einfacher Arbeiter aus Wien. So müssen auch wir es auffassen,dann werden wir sehen, welchen Vorteil das nun für die Kirche haben kann! Und noch etwas klärt sich jetzt: jetzt zeigtsich, werin Wahrheitein(Gottgläubiger ist! Wer an Gott glaubt, der muß nicht nur mit Worten seinen Glauben bekennen, sondern dies auch durch Taten beweisen. Dies tun auch alle wahrhaft Gläubigen: der Negerim Urwald Afrikas,der Chinese in seinem Götzentempel,der Japaner,der Australier und auch die Protestanten und Katholiken,sie alle bekennen ihren Glau ben durch Gebete, äußere Zeremonien und vor allem durch Opfer, deren voll kommenes und allein wahres unser heili ges Meßopfer ist. Diese alle hatten also zu allen Zeiten, seit es Menschen gibt, Got teshäuser und Gottesdienst! Nur Menschen unserer Tage sind so un natürlich, auf Kirche, Priester, Gottes dienst und Sakramente verzichten zu können. Sie werfen ihren Glauben weg, wie man einen alten Rock abstreift, und nennen sich dann noch gottgläubig. In Wirklichkeit wollen sie ohne Bindung sein, lassen Gott einen guten Mann sein, ja. die 3, 6 oder 10 RM,die sie für ihren Glauben und die Einrichtungen des Glaubens zü -zahlen hätten, sind ihnen mehr wert als C3ott!... Wenn wir den Ernst und die Bedeutung der neuen Zeit mitihren Wirkungen rich tigerkennen,dann braucht uns nicht bang um die Zukunft zu sein, im Gegenteil, dann scheint dies der Anfang einer neuen religiösen Vertiefung zu sein! Auf uns kommt es an und auf die Gesinnung, mit der wir die Opfer bringen! Wenn das Volk von höchsten staatli chen Stellen zu erhöhter Opferbereit schaftaufgerufen wurde,dann kann diese Opferbereitschaft zumindestens ebenso von den Katholiken für Gott,den katholi schen Glauben und die Kirche gefordert werden! So werden talsächlich alle Katholiken durch einige Mark,die sie für ihren Glau ben als Opfer zu bringen haben, vor eine ernste Entscheidung, vor ihre Glaubens entscheidung gestellt - und viele haben wegen einiger lumpiger Mark,wegen des schäbigen Geldes ihren Glauben wegge worfen! Um eine solche große Entscheidung geht es jetzt auch in unserer Pfarre: bis jetzt ist unsere Gemeinde eine geschlos sene katholische.CJemeinde. alle, die hier wohnen, haben einen und denselben Glauben! Darauf sollten wir stolz sein, darüber sollen wir uns freuen-und möge das unbedingt so bleiben! Denn über alle Meinungsverschiedenheiten und Gegen sätze,die es unter Menschenimmergeben wird, die es auch in unserer C^meinde gibt, über alle diese Gegensätze hinweg verbindet uns alle noch eines- unser ka tholischer Glaube- unser Glaube an unsem gemeinsamen Vater im Himmel - und wie ergreifend ist es, wenn sich alle wenigstens an den hohen Festtagen hin weg zusammenfinden! Und diese Glaubenseinheitsollte wegen einiger lumpiger Mark zerrissen werden? Und noch mehr: einige Mark sollten über ünsern Glauben entscheiden,einige Mark sollten die Erziehung unserer Kin derin Frage stellen? Denn was wolltIhran Stelle der christlichen Wahrheiten setzen? Wie wollten Sie Ihre Kinder anders erzie hen? Es gibt keine bewährteren Grundsätze als die christlichen,die sich in 2000Jahren bewährt haben, das kann niemand leug nen! Odersollen gareinige Mark entscheiden über die wichtigsten Lebensfragen, ja, über das Heil der unsterblichen Seele, über ewigen Lohn oder ewige Strafe? Wenn ich hier ganz ernst Ihnen die Bedeutung und Tragweite der neuen Kir chenbeitragsordnung vor Augen führe, dann wahrhaftig nicht, um Sie bloß zur Zahlung Ihres Kirchenbeitrages zu bewe gen! Esgehtum viel Größeres!Denn wenn es uns Priestern nur um unsere Versorgung gegangen wäre,dann hätten wir nach dem Mittelschulstudium eine andere Lauf bahn gewählt, Arzt, Richter, Professor, Beamter, all das hätten wir genauso wer den können.Denn der Gehalt der Priester war niemals besonders groß. In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen z, B. sa gen, daß ich bisher vom Staat einen mo natlichen Gehalt von RM 112,70 erhielt; wenn ich alle Nebeneinnahmen,wie Lei chenstola, Meßstipendien usw. zusam mennehme,so kam ich durchschnittlich im Monat aufRM 140,-. Dies ist mein (jehalt nach ISjährigem Studium.Und durch die Kirchenbeiträge wird mein Gehalt keine Erhöhungerfahren.Vergleichen Sie damit den Gehalt eines Arbeiters oder niedersten Briefträgers, dann werden Sie 41
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