Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Kampfmittel gegen den anüchristUchen Zeitgeist; Ursache der Not sei die Abkehr von Gott usw. Daneben wurden katholi sche Einrichtungen empfohlen, wie z. B. der katholische Gesellenverein; Wallfahr ten wurden wiederbelebt, wie z. B. die Leopoldswallfahrt nach Klosterneuburg. Selbstverständlich wurden auch die Bi schofskonferenzen gewürdigt Bisweilen wurden auch ausländische Katholiken eingeladen, Vorträge über die religiösen Zustände in ihrer Heimat zu halten. In einem zweiten Vortrag innerhalb je der Vereinsversammlung kam ein Laie zu Wort, um die Zeitereignisse von religiöser Warte zu beurteilen. Immer wieder wurde auf das leuchtende Beispiel derdeutschen Katholiken hingewiesen. Als Wurzel aller Zeitübel wurde der Materialismus aufge zeigt Ebenso kamen kirchengeschichtli che Themen zur Darstellung, wie z. B. der Abfall Englands. Dabei wurde nicht vergessen, auf die Ironie der Geschichte hin zuweisen: England, das früher die Katho liken auf eigenem Boden verfolgte, müsse diese nun im Orient beschützen. Mit Recht konnte man vom Severinusverein sagen, er sei von Beginn an ,,ein Verein für das öffentliche Bekenntnis des katho lischen Glaubens, für die Rechte und für die Freiheit dieses heiligen Glaubens".® Ohne die gediegene Vorschulung durch den Severinusverein wären die Katholi ken Österreichs kaum in der Lage gewe sen, in der zweiten Hälfte des 19. Jahr hunderts ihre Stellung zu behaupten oder gar in breiter Front zum Angriff überzu gehen. Anton Gruscha, der spätere Kardinal "Und Erzbischof von Wien, hat mit seinen Vorträgen viel zur Formung der Mitglie der des Severinusvereines beigetragen. Er stellte seine bedeutende Rednergabe so wie seine Popularität ganz dem Verein zur Verfügung, so daß sein Einfluß nicht un terschätzt werden konnte.® Das Thema Kirche und Staat war für Gruscha schier unerschöpflich. Es lohnte sich, dieses von allen Seiten zu beleuchten, da ja der Staat in der Ära des Neuabsolutismus die Kir che als aufbauendes Element der Mon archie in größtmöglichem Ausmaß heran zuziehen bereit war. In großen Umrissen begann sich das Werk abzuzeichnen, das schließlich im Konkordat von 1855 seine Krönung fand. Es ging jetzt nicht mehr um Prinzipielles wie im Vormärz und 1848, sondern um Klärung von Detailfra gen, die der Regierung vorgelegt werden sollten, so daß der Zentral-Severinusverein nahezu als Sachbearbeiter von Fragen staats-kirchenrechüicher Natur erschien. Mit Abschluß des Konkordates von 1855 hatte der Severinusverein sein Hauptziel erreicht. Im Bewußtsein der Bedeutung dieses Vereines konnte ihn Gruscha 1856 als Vertreter der 30 Millionen Katholiken Österreichs präsentieren. Der Severinus verein war zum Wortführer der österrei chischen Katholiken geworden. Das Konkordat hatte bewirkt, daß Katholik und Patriot nahezu identisch geworden waren. „Loyal ist jener Untertan, der dem Wort und Beispiel des ersten und höch sten katholischen Laien, seines Kaisers, folgt, das im Konkordat entsiegelt liegt in dem kaiserlichen Willen, daß den Dienern des Heiligtums, den Bischöfen mit ihrem Klerus die ihnen nach göttlichem Gesetz gebührende Ehre im ganzen Reich erzeigt werde.*"" Bis zum Konkordat und wenige Jahre darüber hinaus war der Severinus verein tatsächlich ein Zentralpunkt des katholischen Lebens in Österreich. Er hielt sich damals an große Gesichtspunk te. Später jedoch machte man manchen Mitgliedern den Vorwurf, sie hätten den Verein durch ihr „zelotisches und fanati sches Treiben" in sein Gegenteil verkehrt. Doch mußte selbst die liberale Presse zu geben, daß die Haltung des Hauptredners dieser Gemeinschaft, Anton Gruscha, nicht mit der des „so berüchtigten Severi nusvereines identifiziert werden dürfe"." Wenri män heute auch nicht allen Prak tiken des Severinusvereines seine Zu stimmung geben kann, so muß man aner kennen, daß er viel zur notwendigen Klä rung der Probleme zwischen Kirche und Staat beigetragen hat Vor allem gab er den Katholiken ein starkes Selbstbe wußtsein. um, allen Widerwärtigkeiten zum Trotz, jene Aufgaben zu lösen, die ih nen ihre Zeit stellte. Anmerkungen: ' J. May, Geschichte der Gen.-Vers. der Katholiken Deutschlands, Köln 1903, S. 62, und Lexikon für Theologie und Kir che, 10. Bd., Freiburg i. Br., 1938-, Sp. 521/22. ^ Sebastian Brunner, Der Wr. Katholi kenverein, in: Wr. Kirchenzeitung, Nr. 48, 20. Juli 1848, S. 189, und Nr. 45, 13. Juli 1848, S. 180. ' Cölestin Wolfsgruber, Kirchenge schichte Österreich-Ungarn, Wien 1909, S. 74. "* J. May zitiert Anm. 1, S. 93 f. ^ Namensverzeichnis der Mitglieder des Severinusvereins, Abtlg. Mariahilf, 1853, Pfarrarchiv Mariahilf. * Anton Gruscha, Rede über Musik im Dienst der kath. Kirche, 23. 2. 1852, Ab schrift M. Freudenreich, S. 7, Nachlaß Gruscha, Ord.-Archiv/Wien. ' Versammlung des . Severinusvereins, Abtlg. Mariahilf. Protokolle 1-11, 1856. Pfarrarchiv Mariahilf. ® Rede Gruschas in der Plenarversammlungdes Zentral-Severinusvereinis im Ge sellenhaus, Gumpendorfer Straße 39, 18. Mai 1873, Nachlaß Gruscha, Grd.-ArchivAVien. ' Prager Tagblatt, Nr. 28, V. Jg., 28. Jän ner 1881. Ansprache Gruschas im Zentral-Severinusverein über die Stellung des Gläubi gen zu seinem Bischof, 14. April 1856, Ab schrift Freudenreich, S. 195f., Ord.-Archiv/Wien. " Prager Tagblatt, Nr. 28, V. Jg., 28. Jän ner 1881. Die selige Agnes von Böhmen Einige Beziehungen zu Wien Kurf Bergmann O. Cr. „Ihr hättet außer Pnmk, Ehren und weltlicher Würde den außerordentlichen Ruhm genießen können, mit dem erlauch ten Kaiser rechtmäßig verehelicht zu werden; wie es Eurer und seiner Hoheit geziemt hätte. Trotzdem habt Ihr aU das verschmäht. Ihr habt mit ganzer Seele ... einen Bräutigam edleren Geschlechts ge nommen, unseren Herrn Jesus Christus." 1. Die selige Agnes von Böhmen wurde 1205 als fünftes Kind König Premysl Ot tokars I, und seiner zweiten Gemahlin Konstanze von Ungarn geboren. Mit etwa drei Jahren wurde sie zusam men mit ihrer um ein Jahr älteren Schwe ster Anna zur heiligen Herzogin Hedwig nach Schlesien zur Erziehung gesandt, da sie einen der beiden Söhne der Heiligen, Heinrich oder Boleslaw, heiraten soDte. Doch Boleslaw starb ziemlich früh, mit etwa vierzehn Jahren, und nunmehr sollte Anna Heinrich heiraten. So wurde Agnes mit sieben Jahren zu den Prämonstratenserinnen nach Doxan in Böhmen ge bracht. Früh wurde sie mit dem Kloster leben vertraut, in Schlesien soll sie auch bei den Zisterzienserinnen in Trebnitz gewesen sein, und faßte bald, so die Le gende, eine tiefe Verehrung zur heiligen Eucharistie. Nach diesem Aufenthalt sandte sie ihr Vater, der mit seiner Tochter Großes vorhatte, nach Wien, um dort am Hofe Herzog Leopolds ins höfische Leben eingeführt zu werden. Durch kluge Hei ratspolitik wollte Premysl Ottokar größe^ ren Einfluß im Weltgeschehen erreichen. Daher wurde Agnes, noch immer ein Kind, mit Heinrich VII., dem Sohn Kaiser Friedrichs II., verlobt. Nachdem aber Herzog Leopold König Premysl zuvorgekommen war und Heinrich dessen Toch ter Margarete heiratete, sollte sie mit Kö nig Heinrich III. von England, später so gar mit Kaiser Fiüedrich II. selbst ver mählt werden. Doch ihr Herz gehörte bereits einem an deren. Während ihres Aufenthaltes in Wien hatte sie durch die Minoriten die franziskanische Bewegung kennenge lernt, und von da an gab es für sie nur noch ein Ziel: gleich dem hl. Franziskus in strikter Armut dem Herrn nachzufolgen. 1230 starb ihr Vater, der ihr sicher bei diesem Entschluß hinderlich gewesen wäre, und nachdem der Papst auf ihre Bitte hin den Kaiser umstimmte, doch nicht eine Ehe mit ihr eingehen zu wollen, war der Weg für sie frei. Braut Christi zu werden und dem jungen Orden beizutre ten. 2. Am Pfingsttag des Jahres 1234 trat sie in das von ihr zuvor selbst gegründete „böhmische Assisi" in Paris als Klarissin ein und wurde von Papst Gregor IX. zur Äbtissin ernannt. Das „böhmische Assi si", welches ein Nachbild des wirklichen Assisi sein sollte, bestand neben dem Klarissirmenkloster aus drei Kirchen, ei35

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