Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Ilgen Betrachter gerichtet, nicht auf eine Figur vor ihr oder zu selten, schon gar nichtaufdasgrausigeUntierzuFüßendes Thrones,das allerdings für ihn grausame Dienstezuerfüllen hat.Somitkann essich bei diesem Handgestus wohl nur um ei nen Eidschwur handeln,ohne noch zu se hen, was beschworen werden soll. Dann darf oder muß die Frage nach der Bedeutung des eigenartigen Zepters in der linken Hand des Thronenden ge stellt werden.Diese hält esfest und stützt es auf den linken Oberschenkel, was we niger bedeutungsvoll sein mag.Aber daß esin „Drei Blättern" endet,die man auch als ,,Lilie" sehen will(RF 62,S.58), muß ihm einen besonderen Sinn geben.In der Hand „Gottes", den der Thronende nach Meinungen darstellen soU,hätte eine „Li lie" wohl keinen spezifischen Sinn.Sinn voll wäre es jedoch, wenn dieses Lilien zepter auf einen Regenten aus dem Stammeder Kapetinger oder derBourbonen hinwies. Jedenfalls ist allgemein be kannt,daß die Lilie als„eines der wichtig sten Wappenbilder seit dem 12. Jahrhun dert im Wappen der Könige von Frank reich erscheint"(Brockhaus).Am Zepter und im Wappen dieser Herrscher hatte al lerdings die„Lilie",soweit sieeine Blume dieses Namens wirklich sein sollte,keine spezifisch sakrale Bedeutung.^ Jeder Künstler muß bis zu einem gewissen Grad ein Kenner der Symbolik und ihrer Vieldeutigkeit sein, um sich in den esoterischen Kreisen seiner Zünfte behaupten zu können.Die Zeitder Roma nik,vorallem das 12.und 13.Jahrhundert, war eine Zeit voller Geheimlehren und geheimer Bünde und deren „stillen" Le bensriten,wie alle Historiker wissen,aber selten und zu wenig darüber dozieren. Neben dem Zepter und dessen Form kann die Kleidung des Thronenden sehr gut seine Würde und Eigenmächtigkeit bezeugen. Wäre er vom Künstler im Bild zum Pantokrator wie im Tympanon von Sankt Stephan in Wien erkoren, dann hätte er ihm sicher auch eine Toga und Tunika angetan.Aber hier trägt er ein fal tenreiches, verziertes, langärmeliges Un tergewand, über das ein steifes, kurzes, die Brust bedeckendes, bis an die Knie reichendes Obergewand gelegt ist und fast panzerartig wirkt.Zu einer Gottesge stalt paßt eine solche Kleidung auch im 13. Jahrhundert nicht. Nur unsicher ist auszumachen,wieweitKopfhaarund Bart das Gesicht der Figur umrahmen oder ob eine eigenartige helmähnliche Haube um die Ohren und das Kinn gelegt ist. Als At tribut für eine Gottesgestalt eignen sich solche Zutaten wohl auch nicht. Bleibt die Frage um den Thronses sel,um die wohlgeformte Kathedra,in der die Figur breitspurig einsitzt. Sie gleicht einem Richterstuhl, von dem aus ein Ur teil feierlich beschworen und machtvoll gesprochen wird. Jeder Betrachter soll unzweideutig wahrnehmen, worum es hier geht, was nämlich jene trifft, die ei nem „Feudalherrn" nichtden geforderten Jahrestributin demütig knieender Bereit schaft leisten. Sie werden den Pranken und dem Rachen eines phantastisch grausigen Untiers zu Füßen des grausa men Herrschers überlassen, dessen aus dem Kopf herausquellende Augen un begrenzte Erbarmungslosigkeit verraten. Istin dieserthronenden Gestalteine para religiöse Macht verkörpert, die stärker ist alsjene ihm dienende,die der Künstler in die Gestalteines Drachenungeheuers hül len mußte? Werkönntedie beiden kleinen Menschlein dem Rachen und der Pfote dieses Leviathans entreißen? Oder soll hier,wiein derGruppevom„Sündenfall", die Sünde und Strafe nicht vollendet ge zeigt, auch die Bestrafung nur angedroht sein? Ist es für beide Menschlein nur eine Folterung durch den Drachen, damit sie willig werden zu opfern wie die Knieen den? Diese scheinen eilends gekommen und bringen wie Leibeigenejener Zeiten den Jahreszehnten,als Hirte der eine mit dem Lamm und als Bauer der andere mit der Garbe, dem Lehensherrn dar. Sollte jemand glauben,es handlesich beidiesem Garbenspender um den Kain der Bibel, dann mag er staunen, wie ungewöhnlich korrekt,ja zierlich diese Weizengarbe ge bunden ist und wie er mit diesem „Opfer bei seinem Herrn ankommt". Jener aber mit dem Lamm sollte dann ein Bild des „gerechten Abels" sein, der aber mit sei ner Gabe nichtankommen darf,da er von einem dritten Mann hinter sich durch ei nen harten Griff ans Ohr und durch eine Drohung mit einem nicht mehr feststell baren Gegenstand davon abgehalten wer den soll. In diesem dritten nochmals eine Kainsfigursehenzu wollen oderzusollen, ohne genaue Kenntnisse einer ikonographischen Quelle dafür,ginge bestimmtzu weit.Eher könnte man hier an den dritten Sohn der Stammeltern denken, an Seth, der bei den Gnostikern vieler Gruppie rungen eine besondere Rolle spielte. Da mit würde freilich der heutige Betrachter der Figurengruppe erneut an unortho doxe und apokryphe Bibeltexte herange führt und mit solchen konfrontiert.^ Was immer man den einzelnen Fi guren dieser Gruppe für „historische Na men"geben mag,das Rätselhafte dergan zen Darstellung würde und wird damit nicht gelöst. Das Geheimnisvolle, man sagt dann gern das ,.Symbolhafte" dafür, dieses Bildwerkes wird damit keinesfalls einsichtiger, eher komplizierter und un wahrscheinlicher. Mit voller Zustimmung kann der Behauptung beigepflichtet werden:„Der Bildhauer von Schöngrabern löstsich völ lig vom Bericht des Alten Testamentes" (RF 1979,S.42). Wenn man aber vom Antibiblischen in diesen Bildwerken überzeugt ist, wie kann dann die orthodoxe Bibel zur Lö sung der „Bilderrätsel" herbeigerufen werden? Sie würde ja zum Widerspruch mit sich selbst in der gleichen Sache: Bi bel in Stein-Steinbilder fern der Bibel. Dieser Widerspruch wird am deutlichsten erkennbar,wenn derrechteGabenbringer der Kain der Genesis sein sollte, dessen Geschenk,die zierlich gefügte Garbe,wie schon erwähnt, hier im Bildwerk „ange nommen", nach dem Bericht der ortho doxen Bibelstelle aber zurückgewiesen wird; denn in Genesis 4,5 heißt es: „Auf Kain und sein Opfer schaute Gott nicht." Mit diesem „steinernen Kain" wird der Bericht über den biblischen Kain ebenso auf den Kopf gestellt und „umgewertet" wie der „steinerne Gott" auf dem Thron über denselben Bericht in der Bibel der wahren Kirche.Esscheintfastsicher,daß wir es hier mit „Nachfahren" der gnostischen Gruppe der Kainiten zu tun haben, von denen R.A. Lipsius sagt: „Bei den Kainituen steigert sich diese antijüdische TendenzbiszurApotheose aller Gottlosen des Alten Testaments" (Kurt Rudolph, Gnosis und Gnostizismus, Darmstadt 1975,5.95)." Neben der eigenartig feierlichen Ge wandung des Thronenden fällt eine ähn lich festliche bei den drei männlichen Ge stalten(RF 1962,SS.98-102)auf.Eine eng anliegende, langärmelige Jacke, nur un terdem Kinn leichtgeöffnet,biszurHüfte geschlossen, wird durch einen kräftigen Gürtel mit einem faltenreichen, an schmiegsamen, zarten, mit Ziersaum be setzten, über die Knie gleitenden Röck chen verbunden. Die Füße der drei todenisten Gesellen stecken in einer molli gen Art von Schuhen, deren Oberteile über den Knöcheln mit kräftigen Ringen geschmückt sind. Ahnliche, doch leich tere Ringe umschließen ihre Unterarme. Die Anzahl der Ringe mag nicht nur aus ästhetischen Gründen gewählt sein. Wer den Originalbericht der Genesis über das Opfer von Kain und Abel genau liest, wird mit den meisten Künstlern,die ihnjeillustrierten,feststellen können,daß eine derart eigenartige zivilisierte Ge wandungderAdamssöhne,wenn sie diese darstellen woUten,sich nicht denken läßt. Auch diese ungewöhnliche Gestaltungs form muß wie die kunstvoll gefügteGarbe „Kains" einen ganz eigenwilligen Sinn haben. Nach diesen Beobachtungen und Hin weisen darf kaum die Frage, die schon oft angeschnitten wurde, verwehrt sein: Welche Bibeltexte, die die Künstler von Schöngrabernzuillustrieren hatten,lagen ihnen wohl vor? Wokönnten solche Bibel ausgaben heute noch zu finden sein? benn daß vieles an den Bildwerken auf biblische Berichte teilweise zurückgeht, dürfte kaum jemand leugnen wollen. Auch eine andere Frage drängt sich auf:WelcheReligionsgemeinschaft,öffent lich oder nicht, der damaligen Zeit hat sich hier in Niederösterreich an einem so unbedeutenden Ort außerhalb Wiens ihre Glaubensmeinungen in Stein hauen lassen? Zu welcher Gruppe dama liger Sektierer mag sie sich gerechnet ha ben? Warum soviel Mysteriöses in diesen Bildern? Handelt es sich um verschleierte Darstellungen von Riten, zu denen nur wenige an diesem wienfernen kleinen Ort, aber doch an einer wichtigen Verkehrs ader gelegen,Zugang haben durfte? Daß es sich um eine elitäre Gruppe von Eigenreligiosen gehandelt haben muß, kann angenommen werden. Die noch zu be trachtenden übrigen Bildwerke an der Apsiswand und im Innern der Kirche werden dieseFragen noch erweitern,auch wennihnen bereits bestimmte Namen ge geben worden wären, wie: Löwenjäger, Samson,Kampfmitdem Bären,Himmel, Hölle, Gericht, Christus, HI. Geist, Maria. Die Benennungen treffen nur die „Haut" 20

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