Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

sten Darstellungen dieser Szene der Ver suchung zeigen, so darf man vielleicht diese ikonographische Besonderheit vorerst als künstlerische Freiheit werten. Umsomehr muß jedoch in die Augen springen, daß sich der Künstler die Frei heit nimmt,dieTiergestalt desVersuchers an die rechte Schulter des Weibes klam mern und dessen Oberarm umschlingen zu lassen. Aus dem bekannten Genesis text der Bibel kann eine solche Art der Darstellung kaum herausgelesen werden. Leider ist die widernatürliche Kleintier gestalt so schwer beschädigt, daß seine Kopfform nicht mehr zu erkennen ist; doch ist der schlangenartige untere Kör perteil bemerkenswert genug. Was hat dieses Getier nach des Künst lers Willen, nicht nach dem der Genesis, eigentlich mit dem Weibe vor, was hat es ihm zu melden oder,washatesihm schon zugezischelt? Denn das Weib zeigt eigen artige Reaktionen. Es hält eine feigenar tige Frucht vom Bäumchen mit der Lin ken an den Mund;doch dieser bleibt ver schlossen. Zaudert es, davon zu essen, weil das Tier an der Schulter warnt? Wie wäre aber dann die Bibelstelle der Versu chungzu verstehen? Sicher ist aber etwas anderes dabei: das Weib gibt hier im Bild dem Manne nichtvon derFruchtzu essen, wie es in Genesis 3,6 ausdrücklich heißt, sondern dieser Mann greift selbst mit sei nerrechten Hand nach einer Fruchtin das schöne Bäumchen. Wie kommt der Künstler von Schön grabern auf diese „Legende", die sicher nichts mit der orthodoxen Bibel und ihrer Interpretationzu tun hat? Haterden Text, die literarische Quelle für diese seine ei genartige Darstellung etwa einer apokry phen Bibel entnommen,die er in die Bil dersprache umsetzen mußte und wollte? Aber auch die anderen Gesten desPaares, die siejeweils mitihreranderen Hand aus führen, können keine Illustration der Bi belstelle sein, die da lautet:„Nun gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Deshalb flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze" (Gen. 3, 7). Von einem Schurze-machen aus Feigenblättern ist hier nicht das geringste zu erkennen.Was will die linke Hand des Weibes anzeigen, wenn sie die in Eitelkeit geflochtenen Zopfenden ihres Haupthaares an ihre Scham drückt? Und was will der Mann sagen, wenn er mit seiner linken Hand sein aufgerichtetes Glied bedeckt? Sollen solche Gesten als Zeichen primitiver Schamhaftigkeit oder als Fruchtbarkeits symbolik gewertet werden? Wollte damit der Künstler für alle kommenden Be trachter seiner Figuren sich als Sexual aufklärer dokumentieren?In Hallung und Gestik erinnert diese Figur eher an eine griechische Herme,als an den Adam der Bibel. Das Bilderrätsel dieser Gruppe wird je doch noch um einigeGradegeheimnisvol ler durch die häßliche, geschlechtslose Gestaltzur linken Seite des Mannes.Her beigesprungen aus weiter Ferne packt sie diesen energisch an der Schulter, als wollte sie ihn hindern, nach einer Frucht dieses artifiziellen Bäumchenszu greifen. Ganz gewiß will sie ihn nichtzum Pflükken und Essen einer solchen auffordern. Hat ja nach der orthodoxen Bibel das Weib die „Aufgabe", dieses zu tun und ihm die verbotene Frucht zu reichen. Sinnlos wäre es,in dieser Gestalt auch ei nen Teufel gleicher Rasse sehen zu wol len, von der jener entsprossen, den das Weib an seiner Seite kleben hat,der es be strickend umarmt. So einfältig wie viele leichtgläubige Christenmenschen ist je ner Künstler von Schöngrabern mit sei nen Inspiratoren nicht gewesen. Sie ha ben als gutgeschulte Adepten das Alpha bet ihrer gnostischen Dogmen zu gut er faßt. Denn seit der Stunde der ersten Sünde der Menschen, in der sie ihre Er kenntnis,ihr Wissen,eben die Gnosis,an die Stelle des Glaubens an Gottes Wort setzen, hört diese nimmer auf, Mitgestalterin der Menschheitsgeschichte zu sein. Dafür sorgt wie damals eiferüchtig die „Schlange", die „Jenen" verachtet und von der Kunstzu einem häßlichen Wesen degradieren läßt,der das Kunstbäumchen der Gnosis mit seinen Früchten für den Menschen unberührbar machen will. Ein parabiblischer Mythos? Wohl! Denn die Gnosis war und bleibt die unsterbliche Erzeugerin aller Mythen aller Völker und ihrer widerchristlichen Religionen. Wenn Herbert Schade den Baum zwi schen den beiden Menschen „omphalos" nennt, der „die Mitte der Welt symboli siert"(RF 1972, S. 173), kommt er viel leicht der Lösung des Rätsels näher. Das artifizielleBäumchen muß dasGeheimnis in sich haben. Nur muß ihm der Betrach ter auch glauben,wasessagen will und zu sagen hat. Denn nichtnurdie Blicketrennen beide voneinander, wie H.Schade auch erklärt, sondern eben auch gerade dieses Bäum chen. Sie leben schon voneinander ge trennt, wie wenn sie ein unabdingbares Schicksal geschieden hätte oder gerade dabei wäre, sie für immerzu trennen,die sich schon so fremd geworden sind, daß sie einander gar nicht mehr anschauen können,wie Mann und Weib,die sich ge genseitig das Lobensrecht abgesprochen haben. Interpretationsträumereien -sine fundamento in re? So sei die Frage erlaubt: Soll dasBäum chen in dieser Plastik vielleicht jenen Baum darstellen, von dem es nach dem Sündenfall, nach dem Genuß der Frucht vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" heißt,daß sie aufkeinen Fall davon essen sollten? Denn es steht in Genesis 3, 22;„Dann sprach Jahwe Gott:.Siehe,der Mensch ist geworden wieeiner von uns,so daß er Gutes und Böses erkennt. Daß er nun aber nichtseine Hand ausstrecke und auch vom Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe!' Darum entfernte ihn Jahwe Gott aus dem Garten Eden." Wortgetreu ist das Ausstrecken der Hand des Mannes nach der Frucht am Bäumchen dargestellt. Soll es etwa doch den „Baum des Lebens" darstellen kön nen in seiner edlen,schönen,kunstvollen Gestalt und beladen mit den niedlichen, köstlichen Früchten? Gewiß! Der Leser und Deuter der or thodoxen Lehre der Bibel der katholi schen Kirche muß sich sofort gegen eine solche Ikonographie mit Vehemenz zur Wehr zu setzen suchen. Denn für einen rechtgläubigen Christen kann nicht sein, was nicht sein darf! Ein unsterblicher Wunsch! Aber! Soll dann etwa die häßliche Ge stalt, die den ,,Adam" packt,etwa gar der Jahwe Gott der Bibel sein? Nach dem Glauben der Rechtgläubigen natürlich auf keinen Fall. Aber ist denn nicht noch zu beweisen, daß der Künstler von Schöngrabern ein orthodoxer Christ ge wesen ist oder gewesen sein muß? Sind die Künstler, auch wenn sie christliche und Bibelthemen aufgreifen und darstel len, schon dadurch rechtgläubige Chri sten zu nennen? Sind doch gar oft auch christliche Theologen nicht als solche auch schon bis in den Kern ihrer Lehre rechtgläubige Christenmenschen. Doch nochmals zu dieser häßlichen, menschenähnlichen, geschlechtslosen, äffischen Gestaltan der Seite des Mannes: ausihrem GehabenundTun isteinegroße Angstund ein brennender Neid herauszu lesen, der sie antreibt, eben diesen Mann zu hindern, die einzigartige Frucht von dem einmaligen Baumzu pflücken undzu essen, damit- damit er nicht ewig lebe, wie sie selbst!? Welch eine Umwertung al ler Werte! Das heißt, die ganze Sache auf den Kopfstellen wollen.Aber das tut der Künstler, nicht der Betrachter! Wollen Künstler kreativ sein,dann kön nen und müssen sie es in ihren Bildern sein. Und in ihren Bildern vermögen sie leichtNatur in Unnatur,Gottin einIdolzu verwandeln. Manche Betrachter wollten am Kopf dieser Mißgestalt eine Dornenkrone er kennen(RF 1979,S.75). Damit würdeihre Deutung auf keinen FaU leichter und ein sichtiger, das „Biblische" würde eher noch antibiblischer. Man darf gestehen, daß auch die bisherigen Untersuchungen und Deutungsversuche nicht hinreichen, um die Geheimnisse der Figurengruppe des„Sündenfalles"von Schöngrabern bis insletztezu klären.Esfehlt noch derText, die in Worte gekleidete Glaubenslehre der Künstler und der Stifter der Kirche von Schöngrabern in der Zeit ihrer Entste hung zu Anfang des 13. Jahrhunderts.Sie müssen Vertreter einer Glaubensgemein schaft gewesen sein, die damalsihr Credo und ihre Lebensauffassung in Architektur und Plastik für alle sichtbar machten, dennoch aber nicht für alle, sondern auch damalsnurfür wenige,verständlich,denn ihr Credo begann nicht mit dem ersten Glaubensartikel der Großkirche: „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater,Schöpfer Himmels und der Erde", sondern etwa mit den Worten;Ich glaube an die WirkungderFrüchte desBaumesin der Mitte des Gartens Eden. Dieses Glau bensbekenntnis der ursprünglichen Ge meinde an der Kirche von Schöngrabern hat sich mit anderen Glaubensartikeln in den Steinen und ihrer Härte bis heute er halten. Die kleine Gemeindevon Schöngrabern mußte dieses ihr Religionsbekenntnis aus kirchen- und landespolitischen Gründen verschleiert darstellen, um den stets dro henden Verfolgungen leichter entgehen zu können.Denn es ist Kreuzzugszeit.Je dem Historiker sind die Namen: Bogonii15

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=