Silva von +P. Alois Joseph Bischof SJ Unter einer „Silva" (lat. der Wald)ver stand man in früheren Zeiten eineSamm lung von formal und inhaltlich verschie denartigen Dichtungen oder Schriften. Später meinte man damit dann auch das, was wir heute landläufig eher als „Zettel kasten"ausgeben,also eine Kartei,in der zu verschiedenen Stichworten Notizen zur bezeichneten Materie oder auch Lite ratur gesammelt sind. Das, was man im Nachlaß Pater Bi schofs als Silva deklariert hatte, ent-' puppte sich bei längerer Durchsicht eher als mehr oder minder wahlloszusammen getragene Materialsammlung,wie sie sich (vor allem früher)gern Priester aufgebaut haben,um sie für Religionsunterrichtund Seelsorge in verschiedenen Gruppen be reitzuhaben. Heftchen verschiedenster Art,zahllose Konzepte von einmal gehal tenen Vorträgen, Gruppenstunden und vor allem Predigten wie auch Zeitungs ausschnitte bilden also das Hauplkontingent der Sammlung.Daß die Zeitungsar tikel ohne Angabe von Datum und Her kunft sind, wundert den leidgewohnten Historiker gar nicht mehr, das findet er sowieso fast nie vor. Wasdas wirklich Be wundernswerte dieser Silva ausmacht,ist die ungeheure Sorgfalt, mit der sie zu sammengestelltist.Sosteht diezurErstel lung wohlaufgewandte Zeit leider in kei nem Verhältnis zur Verwertbarkeit des Materials für einen heutigen Benützer.P. Bischof, der übrigens zuletzt im Alters heim in Laxenbufg bei Wien tätig war, hatte ja gemeint, hier einen unermeßli chen Schatz an Wissen und Material wei terzugeben, ein Wunsch, der sich leider nicht in seinem Sinn und in diesem Aus maß bewahrheiten konnte. Warum, wird in der Folge noch ersichtlich werden. DieSammlung bestehtaus20grob aber sorgfältig gearbeiteten Holzkistchen (20 X 30 X 20),in denen sich nicht weniger als 430 Mappen im Format A5 befinden. Etwas über 300 dieser Mappen sind mit ungefähr 200 verschiedenen Titeln verse hen. Das mit dieser Numerierung be zweckte System war trotz verschiedener Versuche nicht ganz durchschaubar,eine klärende Ubersicht dazu sollzwar existie ren,ist jedoch verschwunden. Das Spek trum der bezeichneten Titel ist relativ weit: Die theologischen Disziplinen sind vertreten, weiters geht es beispielsweise um Theodizee,Biologie,10Gebote,Gebet, Teufel, Pater Pio, Katechismus, Materia lismus, Opfer, Aberglaube, Gesundheit, Leid, die Päpste, Abortus,Freiheit, Wall fahrten,Jesuiten,Tod usw.usw.Eine auf fallend große Anzahl von Mappen han deln von der Marienverehrung in allihren Spielarten, eine weitere sehr große Gruppe sind Konzepte von Predigten (teilweise zu den Sonntagen im Jahres kreis und Festen, teilweise auch zu ver schiedenen Themen)und von Exerzitien, die der Pater in recht großer Zahl und er folgreich gehalten haben muß, was das reichhaltige Material und immer wieder beiliegende Dankbriefe von Hörern und dgl. feststellen lassen. Diese Konzepte sind mit größter Sorgfalt ausgefertigt: in verschiedenen Farben beschriftet, jede Linie mit Lineal gezogen, jede Einheit neuerlich in gefaltetes Packpapier einge legt, betitelt, numeriert Trotzdem - und darinliegtein wenigdieTragik desganzen Werkes-sind sie praktisch nichtzuentzif fern, und das aus zwei Gründen: Erstens rein äußerlich,denn die Notizen sind teils in der alten Gabelsberger Stenographie, teils in einem nur schwer defmierbaren Gemisch von Kurrent- und Lateinschrift geschrieben, beides Schreibarten, die ei nen heutigen Menschen bald verzweifeln lassen können,noch dazu,wenn sie mitso persönlicherNoteangewandtwerden,wie das P. Bischof zu tun pflegte. Gut, das wäre nacheinigerZeitderBeschäftigungja nochzu schaffen!Daszweite Handikap ist aber viel schwieriger und liegt darin,daß es fast unmöglich erscheint, aus diesen bunten Stichworten, die in verschieden ster wohlüberlegter Anordnung auf dem Zettel plaziert worden sind, noch den Sinn, sprich: den Inhalt der Predigt, re konstruieren zu können. Nach einigen Versuchen in dieser Richtung, nicht nur von meiner Person,kann man dieses Un ternehmen als gescheitert betrachten:Die Konzepte bleiben unergründbar wie alt orientalische Steintafeln. Dieses Lebens werk des Paters zu rekonstruieren, be dürfte wohl eines neuerlichen Lebens werkes,das hiefür zur Verfügung zu stel len niemandem zuzumuten ist. So blieb nichtsanders übrig,als die meisten dieser Blätter dem harten Los desPapierkorbes auszuliefern. Auffallend ist auch, wenn man den In halt der Mappen durchsieht, die große Zahlvon Schriften und Blättern austradi tionalistischen Lagern. Da gibt es nichts, wasnicht vertreten ist,an leidigerDiskus sion um Liturgiereform und Handkom munion,um Freimaurertum und sogarei nen angeblichen Doppelgänger Papst Paul VI., der mit genauen Bildanalysen dokumentiert und entlai-vt wird. In ebenso großer Zahl finden sich Heftchen über verschiedenste Prophezeiungen, Wunder, Erscheinungen und sogar das „Graskreuz" von Eisenberg. Auch Pater Pio und die wundertätige Medaille bean spruchen einen überdimensional großen Platzin der Materialsammlung.Aberesist zweifellos nicht uninteressant, auch in solchem Schrifttum einmalgeblättertund gelesen zu haben,und fast erschreckend, wie viel an unsachlichen, rechthaberi schen und unter dem Vorschein beson derer Rechtgläubigkeit erscheinenden Machwerken auch heute noch produziert wird. Selten einmal findet sich in der Silva auch ein Stück von historischem Wert. Zwei Beispiele: Das eine ist ein sehr in teressanter Bericht des Paters aus dem Jahre 1948 über seine Tätigkeit als Arbei terseelsorger beim Bau des Glockner-Kaprun-Kraftwerkes,den erfürfranzösische Arbeiterseelsorger aufderen Bitte hin ge schrieben hat.Dorterobertesich derPater die Herzen der mißtrauischen Arbeiter schaft durch die Errichtung eines Kinder gartens. Weiters finden sich der Durch schlageines Briefesausdem Jahre 1961 an Kardinal König anläßlich desZweiten Va tikanischen Konzils. Der Wiener Erzbi schofhatte damals den Klerus seiner Diö zese aufgefordert, ihm Stellungnahmen zu im Konzil aufgeworfenen Fragen zu kommen zu lassen. So berichtet P. Bi schofüber mancherlei Anschauungen im Klerus zu damals (und teilweise auch heute noch) aktuellen Problemen. Da wird etwa der Vorschlag geäußert,daß im Zuge der Priesterausbildung die Diakone -noch ohne Zölibatsverpflichtung-drei Jahrein eine Pfarre gehen sollten,ehe sie sich endgültig dazu entscheiden,Priester zu werden.Die Priesterweihe sollte nicht vor dem 30. Lebensjahr gespendet wer den. Selbst die Rückversetzung eines Priestersin denStand desDiakonswirdin diesem Brieferwogen für den Fall,daßje ner seinen Zölibatsverpflichtungen nicht mehr nachkommenzu können meint.Der Paterzeichnetsichjedoch in diesem Brief ausdrücklich als Redakteur,nicht als Au tor, dieser Meinungen. Auch Spuren seiner Tätigkeit als Pfar rer in der Canisiuskirche in Wien sind noch zu entdecken: Genaueste Aufzeich nungen, die jedoch ganz und gar nicht vollständig sind, geben Aufschluß über eingegangene Spenden und nötige Aus gaben,Pfarrblätter,ein bißchen Post und Notizen zeugen von seinem eifrigen Wir ken als Seelsorger daselbst. Eine Reise nach Israel war der Dank der Gemeinde an den scheidenden Pfarrer. Das waren nur ein paar der vielen Ein zelheiten, die es über die Silva von P,Bi schof zu sagen gäbe. Zusammenfassend läßt sich mit Nachdruck feststellen, daß sich die zeitraubende Beschäftigung der Durchsicht der über 400 Mappen gelohnt hat. Die Silva P.Bischofs kann einem an deren kaum Hilfe bieten, wie es sich ihr Schöpfer so sehr gewunschen hatte,aber sie stellt trotzdem ein interessantes Stück Geschichte dar, weil sie dem Betrachter einerseits Einblick gibt in die unruhige Entwicklungder Kircheim letzten halben Jahrhundert, anderseits ihm die Welt ei nes Mannes eröffnet,der dasSeine in und für diese Kirche geleistet hatte. Sie zeigt sein Denken, seine Arbeitsweise, seinen Fleiß und sein Bemühen. P. Bischof hatte sicher ein arbeitsrei ches Leben und überdieszu seiner Zeitsi cherdasZeug,mitden Menschenzu reden und sie mitzureißen. Seine Predigttätig keit bei den Männerwallfahrten nach Ma riazell etwa mag dies bestätigen. Erfüllt von einer tiefen Marienfrömmigkeit, hat ihn sein Leben als Priester sicher ganzer füllt. Dasist es,was sich aus diesem Werk als Resümee herauslesen läßt,auch wenn man den Pater nicht gekannt hat. Die Silva hat jedoch wieder einmal gezeigt, wie schwer esist,vonjemandem Materia lien und Konzepte zu übernehmen,wenn sie nicht wirklich nach objektiven Krite rien zusammengestelltund wenigstensle serlich, besser noch: ausgearbeitet, sind. Auch ist die Zeit so schnellebig,daß Vor kommnisse,die vor Jahren einmal in der Zeitung gestanden haben, meist nicht mehr für Unterricht und Seelsorge brauchbar sind.Selbiges gilt auch für Andachtsheftchen, Beichtspiegel und dgl., wenn sie nicht wirklich ausnahmsweise klassischen Wert haben. Allein von der 13
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