Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Papst Pius VI. in Wien 1782 Dr.Annemarie Fenzl Schon Kaiserin Maria Theresia,der man eine tiefe Frömmigkeit,wenn auch in ba rockem Geist wurzelnd,nichtabsprechen konnte, setzte kirchenpolitische Hand lungen,die oftmals in deutlichem Gegen satz zu ihrer sicherlich ernsthaften Reli giosität standen.So konnte sich ihr Sohn und Nachfolger,Joseph II.immer wieder aufseinefromme Mutter berufen,wenn er -in kirchlichen Angelegenheiten-einen radikalen Schritt nach dem anderen un ternahm. Schon 1769 hatte er in Gesprä chen in Rom seine Absichten dargelegt. Kaum hatte er 1780 die Alleinregierung übernommen, begann er die Ideen des aufgeklärten Absolutismus - auch auf kirchlichem Gebiet - zu verwirklichen. Seinefolgenschwersten Pläne waren hier: Das Toleranzpatent,welches,bereits 1781 erlassen, der kath. Kirche und verschie denen Gegenden „empfindliche Verlu ste" brachte; die Aufhebung der Klöster, die Unterwerfungder Ordensgeistlichkeit unter die Jurisdiktion der Bischöfe,sowie die Absperrung der Bischöfe von Rom. Die treibende Kraft im Hintergrund war wohl Fürst Kaunitz, der seit 1753 als Staatskanzler die Politik Maria Theresias und Josephsentscheidend mitbestimmte. Als Anhänger eines rationalistischen Na tur - und Staatsrechtes wollte er den österreichischen Staat auf verwaltungs mäßigem und finanziellem Gebiet zu ei nem absolutistischen Zentralstaat umge stalten. Dabei mußte er notgedrungen früher oder später mit der Kirche in Kon flikt geraten.Um der Gerechtigkeit willen soll aber an dieser Stelle festgehalten werden,das Joseph II. auch als Schöpfer einer neuen Diözesan- und Pfarregulierung anzusehen ist, eine Maßnahme,wel chesich bisin die heutige Zeitim Hinblick aufihren pastoralen Aspekt durchaus be währt hat. Seine ofmals zu radikalen Re formen aber stießen die katholische Be völkerung vor den Kopf,so daß er vieles noch zu Lebzeiten zurücknehmen mußte. Nachdem sich alle Vorhaltungen und Verhandlungen von selten des Nuntius und der Bischöfe der Monarchie als er gebnislos herausgestellt hatten,hoffte der Papst, in diesen, für die Kirche schwer wiegenden Fragen, beim Kaiser doch et was zu erreichen, wenn er persönlich die damals beschwerliche Reise nach Wien auf sich nahm. Und so entschloß er sich,' um die negative Beispielsfolge der josephinischen Reformen auf andere Länder hintanzuhalten, das volle Gewicht seiner päpstlichen Autorität einzusetzen. Daher trat er im Frühjahr 1782 seine Reise nach Wien an,Am 27.Februar 1782 verließ Pius VI. unter großer Anteilnahme der Bevöl kerung die Stadt Rom und traf über Görz, Laibach,Cilli und Marburg kommend,am 19. März in Graz ein. Von dort ging die Reise weiter über Bruck an der Murzum gräflich Wurmbrandschen Schloß Stuppach bei Gloggnitz.woder Erzbischofvon Wien, Kardinal Migazzi, ihn feierlich be grüßte. Der Staatsvizekanzler, Graf Phi lipp Cobenzl, hatte den Papst bereits an der Slaalsgrenzo im Namen des Kaisers begrüßt. Er hatte für die Unterkunft in den verschiedenen Nachtquartieren und für die Verpflegung durch die mitge brachte kaiserliche Küchezu sorgen. Auf ihn ging auch ein eigenmächtiges Verbot zurück, entlang der Route des Papstes Glocken zu läuten, Prozessionen zu ver anstalten, wowie den Papst mit schriftli chen oder mündlichen Gesuchen zu belä stigen. Um einen feierlichen Empfang in Wien selbst zu vermeiden, reiste der Kaiser, trotz eines schmerzhaften Augenleidens, seinem Gast bis Neunkirchen entgegen. Gemeinsam ging dann die Fahrt über Wiener Neustadtnach Wien.DerEmpfang durch die großen Volksmassen, welche aus allen Teilen des Landes angereist wa ren,teils aus Neugierde,teils um den Se gen des Papstes zu erwarten, beein druckte Kaiser und Papstgleichermaßen. Pius VI. wohnte während seines Wiener Aufenthaltes,der einen Monat andauerte, in einem Trakt der Hofburg,in jenen Ge mächern, die einst Maria Theresia be wohnt hatte. Trotz mehrfacher hartnäcki ger Verhandlungen ab dem 23. März, bei welchen Staatskanzler Kaunitz stets be strebt war, den Kaiser nicht mit dem Papst allein zu lassen, weil er den starken persönlichen Eindruck des Papstes auf Joseph II. fürchtete, konnte der Papst nichts Wesentliches durchsetzen: der Kai ser gab nur in einigen nebensächlichen Punkten nach. Am 25. März,.am Feste Maria Verkündi gung.fuhr der Papst zum ersten Mal aus der Hofburg, wobei ihm dieselben militä rischen Ehren erwiesen wurden wie dem Kaiser. Der Papst fuhr zur Kapuzinerkir che,woer nach einer Meßfeierin der Gruft an den Gräbern der Habsburger betete und dann die Damen der Aristokratie im Refektorium zum Fußkuß empfing. Der KapuzinerIgnaz Aurelius Fessler,derdie ser Messe beiwohnte-er wurde später in Berlin Freimaurer und in der Folge in Pe tersburg Bischofder russischen evangeli schen Kirche -, schildert den Papst: „...Pius VI. ist der schönste, stattlichste Mann,den ich in meinem Leben gesehen habe.Ich sah ihn dreimal, nie ohne Emp findungen, die ich mir nicht zu erklären weiß,das erstemal am 25. März in der Ka puzinerkirche.Dortlas erohne Musik und Gesang die Messe. Ich stand nur drei Schritte von ihm,so daß ich ihn stets im Gesicht hatte und alle seine Mienen,Ge bärden und Bewegungen genau beobach ten konnte. Nie kämpften Glaube und Unglaube, Jansenismus und Deismus heftiger in mir,als unter dieser Messe;der Kampf blieb unentschieden unter der Macht des in mir aufgestiegenen Gedan kens:es ist doch nur alles exaltierte thea tralische Kunst. Dennoch hörten die Tränen nicht auf, aus meinen Augen zu fließen.,." Am Gründonnerstag nahm derPapstin der Auguslinerkirche die Übertragung des Allerheiligsten vor. In der Hofburg übernahm er anstelle des noch immer lei denden Kaisers die Zeremonien der Fuß waschung und ebenso vertrat er den Kai ser bei dem üblichen Gräberbesuch. Den Karsamstag verbrachte der Papst allein. Am Ostersonntag zelebrierte er auf ei nem eigenen,dem Volkzugekehrten Altar in St. Stephan ein feierliches Hochamt, welchem der Kaiser infolge seiner Augen entzündung nicht beiwohnte. Nachher fuhr er in einem offenen Wagen über den Hohen Markt zur Kirche Am Hof,von de ren Balkon aus er den Segen und einen vollkommenen Ablaß erteilte. Dieses Er eignis war für die Bevölkerung wohl der eigentliche Mittelpunkt des Osterfestes. Frühmorgens war der ganze Platz bereits dicht besetzt; beim Erscheinen des Pap stes auf der Terasse der Kirche um 3 Uhr nachmittags drängten sich bereits rund 50.000 Menschen bis in die umliegenden Gassen hinein.Es waren in diesen Tagen aus dem ganzen Reich so viele Menschen in die Hauptstadt zusammengeströmt, daß man fürchtete, die Lebensmittel könnten ausgehen.Diese Anhänglichkeit und Begeisterung des katholischen Vol kes mag wohl ein Trost für den Papst ge wesen sein. Denn auch bei den folgenden dreitägi gen Verhandlungen vom 7. bis zum 9. Aprilkonnten Kaiser und Papstsich nicht einigen. Toleranz, Zensur, Erziehung des Klerus,der bischöfliche Eid für den Kai ser,Ehedispense,Besitzrechte der Orden: das alles waren vielschichtige und heikle Probleme, die vielleicht mit mehr Erfolg durch beiderseitige Gesandte in diploma tischen Verhandlungen geregelt hätten werden können.Am 11.April übergab der Papst seine Forderungen schriftlich, der Kaiser antwortete und bemerkte einige Tage später in eineih Schreiben an seinen Bruder Leopold lakonisch: „Unsere Ver handlungen haben schließlich zu nichts geführt..." Nach einem Besichtigungsprogramm, das ihn zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt führte,in den Augarten,in den Prater, wie auch in das Waisenhaus am Rennweg und in die Hofstallungen -im mer unter großem Zulaufdes Volkes-rei ste Pius VI. schließlich am 22. April aus Wien ab.Die Reise,dieihn über Melk nach Oberösterreich und Bayern führte, wurde zu einem großen Triumphzug. Allein der Erfolg erwies sich als nur äußerlich, er reicht hatte der Papst konkret fast nichts, Die wenigen Versprechungen,die Joseph II.dem Papstgegeben hatte,hater wohl gehalten, aber sein kirchenpoliti sches System blieb dasselbe, die kirchli chen Reformrnaßnahmen gingen ohne Unterbrechung weiter. Als der Papst am 26, April in München eintraf, wurde am selben Tag in Wien eine Verordnung ver öffentlicht, die eine Übersetzung des To leranzpatentes in die Landessprachen an ordnete. Unterzeichnet hatte der Kaiser dieses Hofdekret bereits am 21. März. Lit.: Ernst Tomek. Kirchengeschichte Österreichs,Tyrolia 1959,3.Teil;Coelestin Wolfsgruber. Anton Christoph, Kardinal Migazzi, Württemberg 1880. 12

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