Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Erinnerungen an die Familie von Rapen in Niederösterreich Mag.theol. Dr. phil. Walter Strauß I. 1942 kaufte der Botschafter des Groß deutschen Reiches in der Türkei, Franz vonPapen,dasGutHarraseben nahedem DorfRohr im Gebirge; damit wurde eine in der neueren Geschichte höchst umstrit tene Persönlichkeit Grundbesitzer in Niederösterreich. Gegen von Papen (ge boren am 29.Oktober 1879),der einem ur alten Geschlecht von Salzgewerkern (Erbsälzer) aus Werl in Westfalen ent stammte, wird eine Reihe von Beschuldi gungen erhoben: Er habe mit dem Nationalsozialismus einen Modus vivendi gesucht,um,wie er selbst behauptete und beabsichtigte, die kirchenfeindlichen Elemente in der Hitlerpartei in Schach zu halten; tatsächlich aber hater die Zentrumspartei,der er an gehörte, geschwächt und ist ihr in den Rücken gefallen. Mitschuldig am Sturze Reichskanzler Brünings, hat er auch die Kirche an die Nazis verraten und erwies sich als der „Wolf im katholischen Ge wände".* Nach seiner Reichskanzler schaft(Juni 1932 bis Dezember 1932)und der darauffolgenden General Schleichers (Dezember 1932 bis Jänner 1933) hatte er durch seine Vertrauensstellung bei Reichspräsident von Hindenburg maß geblichen Anteil,daß AdolfHitler Kanzler wurde;von Papen hoffte,ihn durch Ubertragung höchster Verantwortungzum Erfüller konservativer Pläne einspannen zu können, faktisch aber wurde er zum „Steigbügelhalter" totaler Machtergrei fung durch die NSDAP. Dieses „Ver dienst"hatihm der sonstnichtgeradeVer tragstreue „Führer"so hoch angerechnet, daß er ihn bis zum Schluß seiner Herr schaft tolerierte und für seine Zwecke ge brauchte. Im ersten Kabinett Hitlers war von Papen vom Jänner 1933 bis Juni 1934 Vizekanzler. Im Namen des Reichskanz lers hat er das Konkordat mit dem Heili gen Stuhl am 20.Juli 1933 unterzeichnet; wie er meinte, um Hitler die Hände zu binden; maßgebliche Kreise des Vatikans hielten dafür,daß er der Kirche eine Falle gelegt habe,und KardinalSibilia bezeich netevonPapengeradezu als„primogenito del diavolo".'Obwohl bei den aufden so genannten,,Röhmputsch"folgenden blu tigen Ereignissen persönlich in höchster Lebensgefahr, ließ sich von Papen von Hitler als Gesandten nach Wien schicken. Am 25. Juli 1934 hatte die illegale österrei chische Nazipartei einen Umsturzversuch begonnen, wobei der Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß von Männern der SSStandarte89am Ballhausplatzerschossen wurde. Als bekennender Katholik nützte von Papen seinen Einfluß auf betont na tionale und christliche Kreise,um den so genannten „Anschluß"in die Wege zu lei ten, Seit er dem Flugzeug am 15. August 1934 entstieg,ist er im Auftrag Hitlers der „Totengräber" Österreichs gewesen. An den von ErzbischofTheodor Kardinal Innitzer zwar gut gemeinten, in ihrer Aus wirkung aber höchst unglücklichen Akti vitäten anläßlich des ersten Besuchs des Diktators in Wien (15. März 1938) war er mitbeteiligt. Schließlich erwies sich von Papen durch die Übernahme des Bot schafterpostens in Ankara(1939 bis 1944) dem Dritten Reich und seinem Führer bis zum Ende willfährig und treu ergeben; damit wurdeer an den Verbrechen desna tionalsozialistischen Regimes mitverant wortlich. Vom internationalen Gerichts hof in Nürnberg zwar freigesprochen, verurteilte ihn ein deutscher Richter im Entnazifizierungsverfahren zu acht Jah ren Gefängnis. Nach seiner vorzeitigen Entlassung auseinem Arbeitslager(1949), verbrachte er die letzten Lebensjahre schriftstellerisch tätig in seinem Hause. Seine Büchersind betitelt:„Der Wahrheit eine Gasse"(1952), „Europa, was nun?" (1954),„Vom Scheitern einerDemokratie" (1968).Franzvon Papen starb 89jährig am 2. Mai 1969. Es kann nichtZweck dieser kurzen Ab handlung sein, Falschheit oder Richtig keit der oben aufgezählten Beschuldi gungen zu überprüfen oder zu beurteilen, noch eine umfassende Darstellung der Persönlichkeit des Herrn von Papen zu versuchen.Da die Zahlder Menschen,die jene „große Zeit" erlebt haben,immer ge ringer wird, soll hier bloß nacherzählt werden, was Augen- und Ohrenzeugen, die Angehörigen der Familie von Papen nahekamen,in Erinnerung blieb.In Rohr jedenfalls war die Anwesenheit solcher Prominenzein Ereignis,dasim Gedenken vieler Bewohner bis heute fortlebt. II. Im Kreisgericht Wiener Neustadt(Ur kundensammlung des ehemaligen Amts gerichtes Gutenstein) liegt der Kaufver trag vom 10.Juli1942(nach dem Vertrags abschluß vom 4. Mai 1942)auf, kraft des sen Franz von Papen, Botschafter, vom Deutschen Reich (Reichsfinanzverwal tung)das diesem gehörende Gut Harras eben mit dem Jagd- bzw.Herrenhaus um RM 200.000,- erwirbt; dazu übernahm er den Passivstand des mit dem Gute ver bundenen Sägewerkes. Das Reich er scheint als Vorbesitzer, da das gesamte Vermögen des jüdischen Brünner Tuch fabrikanten Löw-Beer enteignet worden war. Franz von Papen hatte das wirt schaftlich damalskaum gewinnbringende Gutfür seinen Sohn Franzjun. besonders wegen der Jagd erworben; Frau von Pa pen behauptete, daß der tatsächliche Kaufpreis durch weitere Zahlungen be deutend höher kam, während Parteigrö ßen in der Nachbarschaft kostenloszuBe sitzkamen,z. B.Jury,Reschny und Schirach; letzterer hatte die ViDa des Indu striellen Fritz Mandl in Schwarzau arisiert. Vor dem Kaufabschluß erschien beim Pfarrprovisor im Rohrer Pfarrhof ein gutaussehenderjüngererHerrin Zivil, von Papenjunior,der daszum Kaufange botene Gut besichtigen wollte. Der Prie ster, der vorerst nicht wußte, wer sein Gast war,merkte,daß sich vor dem Hause eine Anzahl von Parteifunktionären in ih ren braunen Uniformen - vom Volks mund daher als „Goldfasane" bezeichnet - versammelten, die gekommen waren, seinen Besucherzu begrüßen.Von Papen stellte sich nun vor und zog mutwillig das Gespräch so lange hinaus, bis die NSWürdenträger endlich abgezogen waren. Nun bater den Pfarrprovisor um Rat,wen er als verläßlichen Verwalter anstellen könnte. Auf die Antwort des Provisors, daß er sehr wohl einen geeigneten Mann wüßte, der aber kein Freund des herr schenden Systems sei, erwiderte von Pa pen:„Das ist mein Mann!"Der Genannte, der Bruder des von den Nazis vertriebe nen Pfarrers Gottfried Schneider,bewarb sich hieraufin Berlin um die Stellung und erwähnte pflichtschuldig,daß er aus poli tischen Gründen bereits zehn Wochen eingesperrt war. Es wurde ihm bedeutet, daß das seinen Vorgesetzten nicht nur nicht störe, sondern im Gegenteil ange nehm sei. „Ist mir egal", soll von Papen jun.gesagtundihm denPosten anvertraut haben.DerSohn desBotschafters,damals 32 Jahre alt, Oberleutnant(gegen Kriegs ende Hauptmann),hielt sich gern und öf ters in Rohr auf und ging mitseinem Ver walter ein sehr freundliches Verhältnis ein. Besonders nach einer VerwundungBeckenbruch, erlitten infolge eines Flie gerangriffes - genoß von Papen jun. in Rohr einen längeren Rekonvaleszenzauf enthalt, woran sich einstige Soldaten,die zur gleichen Zeit auf Heimaturlaub hier waren,guterinnern.Ein Arbeiter weiß zu erzählen(Franz Hektor),daß er den »jun gen" von Papen häufig mit dem werksei genen Auto, das auf Holzvergaserbetrieb umgebaut war, von der Endstation der Bahn in Gutenstein abholte. Die jetzt äl tere Frau Wegscheider berichtet, daß sie in ihrer Jugend von Papen im Jägerhaus die Küche führte. Seltener, da er den hochwichtigen Posten in Ankara nicht leicht verlassen konnte,aber doch einige Male, besonders zur Jagdzeit, kam der Botschafter persönlich nach Rohr. Im Hofe des Sägewerkes hielt er vor der Be legschafteine Ansprache,in der der große Führer entsprechend gepriesen wurde, wie sich der einstige Maschinist und Gärtner bei von Papen, Josef Hektor, noch erinnert Den Einheimischen fiel auf,daß der alte HerrsowieseineFrau und sein Sohn in absoluterTreue den sonntäg lichen Gottesdienst in der Pfarrkirche mitfeierten. Die Leute staunten darüber, weil ihnen die kirchenfeindliche Haltung der Nazipartei nicht verborgen sein konn te: War doch der Ortspfarrer von der Ge stapo tvertrieben und wirkte als Kaplan in der nicht allzu fernen Stadt Berndorf; auch sein Stellvertreter, der Pfarrprovi sor, war nur mit knapper Not der politi schen Verfolgung in Hainburg entgangen. Da war es eine kleine, heitere Situation, wenn von Papen jun. seine Mutter gele gentlich,aufder StangedesFahrrades vor sich sitzend,zur Kirche brachte, wie man überhaupt die betont schlichte Art dieser vermögenden Leute bewunderte. Beson37

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