Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

mit solchem Mut im Sturm im Frankreichfeldzug vorging." Ahnliche Äußerungen und Beweise finden sich fast in allen Regiments geschichten der alten Wehrmacht. Es ist auch nicht zu bestreiten, daß der Soldat im Feindesland,immer in Gefahr, umringt von großen und vielen Entbeh rungen und Gefahren,viel empfänglicher für die Gnaden und Tröstungen des heili gen Glaubens ist als in der Heimatgarni son zu Friedenszeiten. Daher heißt esja: „Notlehrt Beten!"Daher ist die Tätigkeit des Wehrmachtsgeistlichen immer eine rege und aufopfernde gewesen und wird es auch bleiben müsseh. Der Berufeines Wehrmachtspfarrersist ein schwerer Beruf,bei dessen Ausübung er in fortwährender Gefahr söhwebt und solchen Mühseligkeiten preisgegeben ist, die naturgemäß auch die festeste Ge sundheit angreifen,das Leben verkürzen oder ein unheilbares Leiden nach dem Kriege meistens nach sich ziehen. In einem meiner Feldpostbriefe an meine Mutter schrieb ich aus dem Osten: „Hier aufdem blutigen Schlachtfeld war tete meiner eine furchtbar ernste und er schütternde Arbeit. Der Kampfplatz war mit Toten und Verwundeten übersät. Oft wußteich nicht,wohin zuerst,davon allen Seiten Hilferufe und Schmerzensschreie erschallten." Ja,wenn der Tod an der Frontseine rei che Ernte hält,wird der Kriegspfarrer von den sterbenden und verwundeten Solda ten als rettender Engel herbeigesehnt und mit offenen Armen empfangen.Ich habe niemals den Fall erlebt, daß ein Verwun deter oder Sterbender aufdem Schlacht feld oder im Kriegslazarett den Beistand und den Trostdes Kriegspfarrers zurück gewiesen odersich geweigerthätte,die hl. Sterbesakramente zu empfangen. Ganz im Gegenteil!Mitgrößter Bereitwilligkeit, ja mitSehnsuchtnahmen mich die Solda ten auf und empfmgen mit rührender An dacht, mit Tränen in den Augen und mit vollkommener Ergebung in den Willen Gottes die Gnadenmittel unserer Kirche. Selbst bei einer SS-Division riefen sie,die angeblichen Gottgläubigen: „Herr Divi sionspfarrer,kommen Sie nur herauchzu uns; auch wir woEen eines anständigen christlichen Todes sterben!"Darum habe ich mich stetsan dem gläubigen Sinne,an dem religiösen Eifer und der Geduld der kämpfenden Truppe erbaut. Es ist auch wiederholt passiert,daß verwundete oder sterbende protestantische Kameraden mich inständig baten,ihnen beizustehen, Trostzu spenden und mitihnen zu beten. Wie oft riefen mich derartig schwerver wundete Soldaten von norddeutschen Einheiten, protestantischer Konfession, wenn sich mein evangelischer Kollege nichtin der Nähe befand,zu sich und sag ten:„Herr Divisionspfarrer,ich bin Prote stant, aber kommen Sie trotzdem zu mir und helfen Sie mir beten;denn esgeht mit mir zu Ende."Gern habe ich ihnen gehol fen, und als ich ihnen sagte, daß mein Großvater mütterlicherseits protestanti scher Landesbischof war, da spürte ich sogar ihre Liebe zu mir. Aus christlicher Nächstenliebe,im Geiste der „Una sancta" kniete ich neben ihnen und betete mit ihnen dasGebetdesHerrn,das„Vaterun ser".So flößteich ihnen in kurzen Worten Mut, Trost und Ergebung in das harte Schicksal ein und empfahl sie der Barm herzigkeit Gottes, ganz im Sinne der Ökumene. Wenn ich während des Kampfes oder nachdem derselbe beendet neben den sterbenden Kameraden, die oft grauenhaft verwundet waren,aufder Erde oder im Schnee der Ostfront kniete; wenn mit dem Tode ringende Soldaten in meinen Armen erblaßten und ihren Geist aufga ben,während der Name„Jesus,Mariaund Josef,„Vater" oder „Mutter" oder„Kin der" noch auf ihren sterbenden Lippen schwebte: wenn ich all den Jammer und das Elend, die Greuel der Verwüstungen anstarrte, die der entsetzliche Krieg in seinem Gefolge hat; wenn ich das Ächzen und Seufzen der von Geschoßen und Ba jonettstichen Verwundeten und das Stöhnen und Röcheln der Sterbenden durch lange, bange Stunden hörte; wenn mich ringsumher die verglasten Augen, das fahle Antlitz der Gefallenen und die furchtbar entstellten Gesichtszüge der unter rasenden Schmerzen Gestorbenen anstarrten; wenn zudem bald nah, bald fern der Kampf weitertobte; wenn vom Geschützdonner und der Stalinorgel die Erde zitterte und unter den knarrenden Kettenrädern der dahinbrausenden Pan zerwagen Luft und Boden dröhnten, als sollte die Welt zugrunde gehen; wenn im gemeinschaftlichen Grabe lange Reihen gefallener oder durch Bordwaffenbeschuß oft furchtbar verstümmelter Solda ten lagen und ich ihnen die Grabrede selbst bei Fliegerangriff hielt: Ach, wie hat bei all diesen Anlässen, bei solchem Anblick, bei solchen Erlebnissen mein Herz geblutet, welch eisiger Schauer durchrieselte Mark und Bein, welch grimmiger Schmerz durchzuckte meine Seele! Und dazu noch der Gedanke:Viel leicht ist das alles umsonst Ich fürchtete oft in diesem Jammerzu grunde gehen zu müssen; es versagte mir oft die Stimme,und heiße Tränen rannen über meine Wangen bei all den Schreck rüssen und Seelenqualen; so bei einem Fliegerangriff, als nach meiner Einseg nung der Gefallenen plötzlich ihre Kno chen und Fleischteileim GeästderBäume des Heldenfriedhofes hingen,da die offe nen Gräber einen Volltreffer erhalten hat ten. Ich habe mir während des Krieges öf ters, namentlich an der Front und in den Kriegslazaretten,in welchen ich wochen lang an Thyphus und an der Ruhr er krankte Soldaten pastorierte und täglich sechs biszehn Leichname beerdigte,ganz besonders in der Festung Breslau 1945, die Frage vorgelegt: Wie, wenn du vor Fassung des Entschlusses, Militärpfarrer zu werden, all das Entsetzliche, Grauen hafte und Unaussprechliche, was deiner wartete, geahnt oder im Geiste geschaut hättest? Würdest du wohl den Mut, die Tollkühnheit und Vermessenheit gehabt haben?Würdestdueswohlgewagthaben, diesen Berufzu wählen,deran einen Prie ster,an einen mitGemütBegabten,derar tig hohe Anforderungen stellt, von ihm verlangt? Ich vermutete und erwartete keineswegs, als Wehrmachtspfarrer wäh rend eines Krieges aufRosen gebettet zu werden und ähnlich den drei Jünglingen im Feuerofen des Nabuchodonosors von einem EngelbeiderHand genommen und schmerzlos, unversehrt und mit heiler Hautdurch alle Gefahren geführtzu wer den. Nein, nichts weniger als das, aber zwischen dem,wasich mir,bevorich Mili tärgeistlicher wurde, an Opfern und Ge fahren während eines Fddzuges vorstellte, und dem, was ich dann in Wirklichkeit vorfand und erlebte,warein himmelhoher Unterschied. Ich gestehe ohne Hehl und Umschweife,daß ich mir weder den Mut noch die Kraft zugetraut hätte, solch ein tollkühnes Wagnis,solch ein Riesenwerk zu unternehmen,wie es der Militärpfarrer im Kriege,als Kriegspfarrer im wahrsten Sinne des Wortes,zu vollbringen hat. Das ist die Tätigkeit des(katholischen) Wehrmachtspfarrersim Felde,in wenigen allgemeinen Zügen geschildert Das ist dasLoseinesjedesKriegspfarrersim Ein satz an der Front. Einzelheiten aus meiner feldseelsorglichen Tätigkeit kann ich bei der Fülle der Erlebnisse nicht mehrgenau schildern,da mir sämtliches Material usw. durch die Ereignisse des Jahres 1945 verlorenge gangen ist. Meine Tätigkeit war vor dem Krieg in Wien beim Wehrkreiskommando XVII. Dann erfolgte mit Kriegsbeginn mein Einsatzim Protektorat Mähren und Schlesien, Polen, Holland, Belgien und Frankreich mitder 358.Infanteriedivision als Divisionspfarrer. Nach dem Frank reich-Feldzug kam ich als Kriegspfarrer zum XXVIII. Armeekorps bei der 6. Ar mee,mit der ich nach dem Osten transfe riert wurde. Ab 7. Mai 1943 wurde ich Standortpfarrer in Breslau mit Dienst beim Wehrkreiskommando VIII. Abtlg. IV d. Nach Abzug des Wehrkreiskom mandos VIII nach Hirschberg wurde ich am 20.Jänner 1945 Festungspfarrer bei der Festungskommandantur Breslau, wo ich bis zur Kapitulation am 7. Mai 1945 Dienst machte. Eine der schwierigsten Aufgaben war es aber, unglückliche De serteure, Spione, deutsche Soldaten, die defaitistische Äußerungen machten und vom Festungsgerichtzum Tode verurteilt worden waren,aufdenselben vorzuberei ten. Mehrmals mußte ich dieses schwere Amtausüben. Mehrmals wurden die Ver urteilten streng zur Ablegung der Beichte angehalten, aber es kostete doch oftmals Mühe, sie zur aufrichtigen Reue zu brin gen. Durch meine slawischen Sprach kenntnisse konnte ich oft den Stabsrich tern behilflich sein, und es gelang mir auch,beideutschenSoldaten,dieunkluge Äußerungen wegen des Endsieges ge machthatten,eine mildereStrafezu erbit ten. Aber den traurigsten Fall erlebte ich, als ich bei der Erschießung eines deut schen Soldaten dabei sein mußte,den ich persönlich von früher als guten, christli chen und humorvollen Menschen kannte. Als ich ihm mein Feldkreuzin die Hände gab und er dieletzten Wortesprach,bevor man ihm die Augen verband:„Der liebe Gott verzeihe mir alle meine Sünden,ich bin unschuldig!" und „Grüßen Sie mir meine liebe Mutter!" und „Es lebe ein freies Deutschland!", da krampfte sich 34

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