Zur menSe communis Pischelsdorf,am 8. Oktober 1926 Eure Eminenz, hochwürdigster Herr Kardinal-Erzbischof! Gestatten EureEminenzmir ein offenes freies Wort. Es war schon öfters die Rede davon, wievielein Kooperatorseinem Pfarrerfür die Kost zahlen soll und dabei wurde ein Wort Eurer Eminenz angeführt, daß der Kooperator seinem Pfarrer 60-70% der Kongrua für die Kostzahlen solle, die ge wöhnlich in einem Frühstück, Mittages sen und Abendessen besteht; hier und da wird auch eine Kaffeejause nachmittags geboten und in seltenen Fällen ein kleines Gabelfrühstück. Alles andere außer der Kost (Beheizung, Licht, Wäsche, Bedie nung usw.)muß ja der Kooperator bezah len, Mancher Pfarrer errechnet nun die obigen Prozente vom Bruttobezug, ein anderer wiedervom Nettobezug der Kon grua,und mancher gibt sich mit weniger Prozenten(33-50%)zufrieden,aber dafür muß der Kooperator aufdie Meinung des Pfarrers jede Woche an fünf oder sechs Tagen zelebrieren. Ich halte die prozent mäßige Kostbezahlung nicht nur für un praktisch, sondern auch für ungerecht, und bin aufGrund meiner Erfahrung und genauen Berechnungzudem Ergebnisge langt,daß für zwei Schillinge pro Tag ein jederPfarrerseinem Kooperatoreine aus reichende und nahrhafte Kost bieten kann,am Land sowohl als auch in Wien, dain Wien viele Artikel billiger sind alsin so manchen Gegendenam Lande.Für die zwei Schilling bekommt der Kooperator vom Pfarrer Frühstück,Mittagessen und Abendessen; will er außerdem eine Klei nigkeit als Gabelfrühstück und eine Kaf feejause, so zahlt er um 40-50 Groschen mehr.Freilich sagen manche Pfarrer,daß der Kooperatorim Gasthaus viel mehrfür die Kost bezahlen müßte; das stimmtja, aber dabei ist zu bedenken, daß erstens der Kooperator im Gasthaus sich selber anschaffen kann, was er will, imd zwei tens, daß der Gastwirt für die Verkösti gung seiner Gäste als Gewerbe betreibt, welches ihm einen Gewinn bringen muß und für welches er Steuern zahlen muß, der Pfarrer aber nicht.Ich bin in Neudorf bei Staatz fünfMonate Provisor gewesen und habe in dieser Zeit einen eigenen Haushaltgeführt und habe so ziemlich al les kaufen müssenan Lebensmitteln,und wasich hie und da geschenkt bekam von den Leuten, das habe ich zu Wiener und Laaer Marktpreisen in meine genaue Be rechnung einbezogen. Auch sei bemerkt, daß ich jeden Tag, mit Ausnahme der Fasttage, zu Mittag und Abend Fleisch speisen gegessen habe.Und da bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dxuch genaue Be rechnung, in welcher auch die Heizung der Küche und die Abnützung sämtlicher Koch-und Eßgeräte beinhaltetist,daß die Kostenfür die VerköstigungeinerPerson, Gabelfrühstück und Nachmittagsjause miteingerechnet, keinen einzigen Monat zwei Schilling überstiegen hat. Ich kann offen und ehrlich und ohne Rücksichtauf jemanden jetzt darüber sprechen, da ich derzeit weder Kooperator noch Pfarrer, sondern Provisor bin, und außerdem an meinen zehn früheren Kooperatorenposten bezüglich des Kost- und Kosten punktes niemalsauch nurdie kleinsteDif ferenz hatte, sondern immer gut ausge kommen bin und mit der mir gebotenen Kost immer zufrieden war; besonders erstklassig ist sie in Etsdorfam Kamp,bei Herrn Pfarrer Meixner, und in Herm baumgarten, bei Herrn Pfarrer Sebesta, und bei dem verstorbenen Herrn Dechant Zeibert in Fels <un Wagram gewesen; da und auch an allen anderen Posten ist mir für meinen Verpflegungskostenbeitrag, derüberallwenigeralsfünfzigProzentder Kongrua betrug, Gutes und Ausreichen des geboten worden. Zum Schlüsse füge ich die ergebene Bittean.EureEminenzmögen übermeine offenen und freien Worte nicht ungehal ten sein, sie sollen dem Frieden und der Liebe und Freundschaftim Bruderreiche, das der Klerus sein soll, dienen; und ein wesentlicher Faktor bei der Befestigung des Friedens und der Bruderliebe im Pfarrhause ist die allgemeine Verifizie rung des alten Erfahrungssatzes: „Pacta Clara, amicitia bona." \ Eure Eminenz haben eigenhändig meine Bestellung zum hiesigen Provisor verfügt; meine physische Kraft ist über den Überanstrengungen des hiesigen Po stens nicht gewachsen und ersuche darum Eure Eminenz,die Verfügung auf heben zu wollen. In Ergebenheit Leopold Gößinger Lokalprovisor in Pischelsdorf a. d. Leitha. DAW, Bischofsakten, Kardinal Pifil, 1926. Handgeschriebener Brief. Kardinal PiffICV-Verbindung Norlca Hohe Festkorona. Liebwerte Kommilitonen! Als ich vor82Semestern hoch an deral ten Wiener Universität die ersten Kolle gien belegte,wardort unter den vielen An kündigungstafeln der schlagenden-und Progret-Burschenschaften, der Korps und Landsmannschaften nur eine einzige Tafel, die durch ihren Wahlspruch „pro aris et focis" den katholischen, österrei chischen Charakter ihrer Vereinigung of fen und mutig bekannte. Es war die „Austria".2Semester später erschienen dann aufder einen Universität die blauen Kap pen der neugegründeten „Norica", mehr wie eine quantite rigligcable bemitleidet, als wie als erster Konkurrent gefürchtet Diese Erinnerunglebte unwillkürlich in mir auf, als ich gestern bei St. Stefan mit freudig pochendem Herzen durch die stattlichen Reihen katholischer Verbin dungstudenten hindurchschritt, die zur kirchlichen Feier des 40jährigen Bestan des der Norica sich eingefunden hatten. Wie hat sich doch in diesen 40 Jahren das Bild der katholischen Studenten schaft an der Wiener Universität gründ lich geändert! Damals ein wenn auch mu tiges,so doch nurkleinesHäufchen,istdie katholische Studentenschaftin 40jähriger Entwicklung zu einem ebenso sehr quali tativ als quantitativ maßgebenden Faktor an der Universität geworden. Diese Entwicklung verlief bekanntlich nichtimmer in ruhigen Bahnen,sie weist mitunter stürmische,ja blutige Epochen auf,aber gerade diese harte Schule,durch welche Norica wie die übrigen katholi schen Verbindungen hindurch mußte, war eine Schule starker Selbstzucht,eine Schule katholischer Charakterbildung. Waren vor 40 Jahren aufrechte katholi sche Charaktere auf akademischem Bo den noch sehr dünn gesät,so daß man sie mit der Frage des zynischen Latementrägers von Athen „.. suchen mußte,so haben gerade die ununterbrochenen Gei steskämpfe aufakademischem Bodenzur Weckung und Festigung jener katholi schen Charaktere beigetragen, die nach und nach auchim öffentlichen Leben eine RoUe zu spielen und ihren Platz an der Sonne sich zu erkämpfen und zu behaup ten wußten. War die Wechselwirkung zwischen ka tholischem Studententum und öffentli chem Leben sicher eine sich gegenseitig befruchtende, so unterliegt es keinem Zweifel,daß die Entwicklung der katholi schen Studentenschaft mit der Renais sance des katholischen Geisteslebens in Österreich aufdasinnigste verwoben und verknüpft ist. Der offenkundigste Beweis sind die blauen Kappen,die wir heute auf den bemoosten Häuptern ernster Mini ster, hervorragender Parlamentarier,ton angebender Schulmänner und sonstiger Angehöriger leitender Stände sehen. Mögen diese in harten Kämpfen erfochtenen Errungenschaften der Alten,aufdie wir heute mit freudigem Stolze blicken, der Jugend ein Ansporn sein, mit glei chem Bekennermut,mit gleicher Arbeits freude, mit gleicher Gewissenhaftigkeit den Idealen katholischen Studententums zu folgen. „Semper aperti, ... incerti", soll auch der Leitspruch kommender Geschlechter sein, wenn es güt, aus romantischen Ju gendträumen sich durchzuringen in har ter Selbstzucht zu offenem,entscheiden dem Kampffür Wahrheit und Recht,für Gott und Vaterland. DAW, Bischofsakten, Kardinal Piffi. Maschingeschrieben. 31
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